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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

634-636

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Twardowski, Stephan von

Titel/Untertitel:

Der Friede Christi und die eine Kirche. Zur ekklesiologischen Grundlegung der ökumenischen Ethik Dietrich Bonhoeffers.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 460 S. Geb. EUR 88,00. ISBN 9783374062782.

Rezensent:

Julian Zeyher-Quattlender

Das theologische und kirchenpolitische Interesse an der Theologie Dietrich Bonhoeffers in friedensethischen Fragen ist ungebrochen. Auch gegenwärtig mit Blick auf den Krieg in der Ukraine werden immer wieder einzelne Äußerungen Bonhoeffers zu Krieg und Frieden in kirchlichen Diskussionen und innerprotestantischen Verständigungsprozessen von ganz unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Parteien gleichermaßen herangezogen, um der eigenen Position theologische Legitimität zu verleihen. Diesem Eklektizismus in der Bonhoefferrezeption, mit dem die Bonhoefferforschung seit ihren Anfängen zu kämpfen hat, kann nur durch sorgfältige Grundlagenforschung begegnet werden, die einzelne Aussagen kontextualisiert und sie in die großen Linien seiner Theologie einzeichnet. Es ist daher zu begrüßen, dass die Rezeption von Bonhoeffers Friedensethik im deutschsprachigen Bereich nun auch wieder verstärkt in monographischen Gesamtdarstellungen ihren Niederschlag findet.

Die hier zu besprechende Dissertation von Stephan von Twardowski kann zweifellos als eine Studie gelten, die sich ebendies zum Ziel setzt. Sie stellt nicht »die Darstellung und Entwicklung Bonhoeffers friedensethischer Ansätze und Überlegungen« (40) ins Zentrum, sondern möchte vielmehr dem grundsätzlichen theologischen Bezugsrahmen seiner Friedensethik auf die Spur kommen. Als systematisch theologisch angelegte Studie (36) möchte sie sich nicht auf die Markierung von »Zäsuren, Veränderungen und Brüchen im theologischen Denken Bonhoeffers« (36) konzentrieren, sondern legt ihren Fokus auf das »behutsame Nachgehen von historisch-genetischen Entwicklungen und Veränderungen seines Denkens […], die stets von den biographischen Erfahrungen, Begegnungen, Aufgaben und Herausforderungen geprägt sind« (36 f.). Ganz umgehen kann der Autor die innerhalb der Bonhoefferforschung umstrittene Frage, inwiefern sich die theologische Entwicklung Bonhoeffers bruchlos vollzieht, damit freilich nicht, neigt er doch bereits mit seiner Eingangsthese, Bonhoeffer lege mit seiner Erstlingsschrift Sanctorum Communio »gewissermaßen die Grundanlagen seines gesamten theologischen Denkweges vor« (35), zumindest implizit zu einer homogeneren Lesart der Theologie Bonhoeffers.

Die Dissertation wurde im Jahr 2018 an der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg eingereicht und im Jahr 2022 bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig veröffentlicht. Die von Michael Welker begleitete Arbeit entstand unter anderem auch im Kontext der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen am Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Hamburg, an der T. 2006−2010 tätig war. Die Studie kann daher auch als ein aktuelles Zeugnis für die Rezeption der Theologie Bonhoeffers im freikirchlichen und friedenskirchlichen Kontext angesehen werden.

Die leitende These der Studie lautet: »Die von Bonhoeffer in seiner Schrift ›Sanctorum Communio‹ entfaltete Ekklesiologie bildet, verknüpft mit den weiterführenden und vertiefenden christologischen und theologisch-anthropologischen Überlegungen die kohärente theologische Grundlegung seiner ökumenischen Theologie und Ethik.« (37) Der Fokus der Untersuchung liegt somit auf Bonhoeffers Werkphase der frühen 1930er Jahre. Hier entwickelt Bonhoeffer, so T., eine ökumenische Theologie, »die einen grundlegenden Beitrag zu einer theologisch kohärenten und differenzierten ekklesiologischen Begründung kirchlichen Handelns beziehungsweise ökumenischer Ethik« biete (32). Diese werde »nur unter Heranziehung seiner differenzierten ekklesiologischen Überlegungen, seiner damit verbundenen grundlegenden theologischen Anthropologie und seiner dem Gesamtgerüst seines theologischen Ansatzes zugrundeliegenden Christologie greifbar« (32). Den Bezug zur Friedensethik sieht T. darin, dass sich Bonhoeffers Ansatz »einer ökumenischen Theologie und Ethik […] in dieser Phase seines Schaffens in zentraler Weise als Friedensethik ausweise« (32).

Diese These prüft T. mithilfe eines Dreischrittes, an dem sich auch die Gliederung der Arbeit orientiert. Jeder Schritt konzentriert sich dabei auf eine thematisch hierfür einschlägige Primärquelle aus Bonhoeffers Frühwerk. Im ersten Schritt wird anhand von Sanctorum Communio (1930) der ekklesiologische Ansatz Bonhoeffers einer detaillierten Untersuchung unterzogen (Kap. 2), der sich eine Auseinandersetzung »mit Bonhoeffers christologisch-ekklesiologischer Entfaltung des Kirchenbegriffs (Kap. 3)« (37) anschließt. Im zweiten Schritt wird anhand von Schöpfung und Fall (1933) Bonhoeffers theologische Anthropologie in den Blick genommen, um die anthropologischen Grundvoraussetzungen und Bedingungen von Bonhoeffers theologischer Ethik herauszuarbeiten (Kap. 4). Im dritten Schritt entfaltet T. schließlich »Bonhoeffers Grundlegung theologischer Ethik im ökumenischen Horizont in den frühen 1930er Jahren und seinen damit verbundenen Beitrag zur ökumenischen Theologie« (38). Hauptbezugsquelle der Analyse ist hier Bonhoeffers Vortrag Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit (1932), der jedoch eine kritische Betrachtung des forschungsgeschichtlich brisanten Vortrages Grundfragen einer christlichen Ethik aus dem Jahr 1929 vorgeschaltet wird, den Bonhoeffer in seiner Auslandsvikariatsgemeinde in Barcelona hielt. Das Abschlusskapitel (Kap. 6) führt die Ergebnisse zusammen und entfaltet nochmals die Relevanz der theologischen Grundlegung von Bonhoeffers ökumenischer Ethik für das Verhältnis von Ekklesiologie und Ethik.

T.s Auseinandersetzung mit Bonhoeffers Texten vollzieht sich durchgängig konstruktiv wie kritisch, er greift auf zentrale Forschungsergebnisse zurück, führt sie zusammen und bezieht dabei auch die US-amerikanische Bonhoefferforschung mit ein. An zahlreichen Stellen verweist er auf die Orientierungskraft von Bonhoeffers Theologie, bspw. durch die luzide Nachzeichnung von Bonhoeffers Theologie der ökumenischen Bewegung, markiert jedoch gleichermaßen auch Grenzen und Spannungen in Bonhoeffers eigenem Denken. Besonders hervorzuheben ist diesbezüglich T.s intensive Auseinandersetzung mit Bonhoeffers Kategorie der »Kollektivperson« (2.6.3 und 2.5.7), in der er herausarbeitet, wie sich Bonhoeffer trotz expliziter Distanzierung von idealistischen Einheitskonzeptionen, wie sie bspw. bei Hegel auftauchen, dennoch an zentralen Denkfiguren aus der idealistischen Philosophie orientiert. Eine gewisse Inkonsequenz, die für T. auch die problematische Aneignung des »Volksgedankens« in Sanctorum Communio erklärbar macht (201−203). Die Ergebnisse seiner Quellenanalyse werden schließlich durch eine systematische Darstellung der Friedenstheologie Bonhoeffers, die durchaus etwas ausführlicher hätte ausfallen können, wieder an die Friedensthematik rückgebunden (5.4; 6.4.) und mit Impulsen für die gegenwärtige ökumenische Debatte verbunden.

Insgesamt ist die Studie ein beachtenswertes und vielschichtiges Plädoyer dafür, Dietrich Bonhoeffer auch in friedensethischen Fragen nicht nur von seinem Anwendungspotential her zu rezipieren, sondern ihn zuallererst von seiner komplexen theologischen Grundanlage und somit von seinem friedenstheologischen Potential her ernst zu nehmen. Indem die Studie den Blick für die Notwendigkeit einer theologischen Rückbesinnung schärft, kann sie jenseits ihrer Relevanz für die Bonhoefferforschung auch für den gegenwärtigen friedensethischen Diskurs im Raum der Evangelischen Kirche einen wertvollen Beitrag leisten.