Buch des Monats: April 2024

Schilling, Johannes, u. Brinja Bauer

Singt dem Herrn ein neues Lied. 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2023. 296 S. Kart. EUR 25. ISBN 9783374074150.

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Das Evangelische Gesangbuch feiert hohen runden Geburtstag! Denn vor exakt 500 Jahren kamen als Gattungsauftakt, verschiedene Einblattdrucke zusammenführend und erweiternd, das Nürnberger »Achtliederbuch«, das »Erfurter Enchiridion« und Johann Walters »Geystliches gesangk Buchleyn« auf den Markt. Dabei wären der erstgenannte Titel kaum als »Buch«, eher als Druck oder Flugschrift, und der letztgenannte Titel treffender als ein fünfstimmiges Chorgesangbuch zu bezeichnen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, noch einmal wesentlich dynamisiert seit dem 17. Jahrhundert erschien eine kaum noch zu übersehende Vielzahl evangelischer Liederbücher, die sich regional, frömmigkeitstypologisch und strukturell extrem ausdifferenzierte. Erstaunlicherweise konnte für den im deutschen Sprachraum lebendigen Protestantismus erst 1950 mit dem »Evangelische[n] Kirchengesangbuch« (EKG), das ab 1993 in dem »Evangelische[n] Gesangbuch« (EG) einen Nachfolger fand, eine gemeinsame kirchliche Liedersammlung realisiert werden.
Es ist das große Verdienst des vorliegenden, üppig bebilderten Büchleins, diese reiche, wechselvolle Geschichte erstmals insgesamt überblicksartig aufgearbeitet zu haben. Der in 28 Kapitel untergliederte Band präsentiert sich als ein »Gemeinschaftswerk« (8), weshalb die Autorschaft der einzelnen Teile nicht im Inhaltsverzeichnis, sondern nur im »Vorwort« offengelegt wurde. Unbeschadet der hier dokumentierten stupenden Kennerschaft von Autorin und Autor wendet sich das Werk ausdrücklich »an eine breite Leserschaft« (6), was sich nicht nur in der angenehmen, leicht fasslichen Sprachgestalt niederschlägt, sondern ebenso in der äußerst sparsamen Einfügung von Anmerkungen, die zudem, anstatt dem Fließtext einverleibt zu sein, lediglich im Anhang (vgl. 269–277) nachgereicht werden; ob die »breite Leserschaft« mit den dort vielfach auf VD-Nummern beschränkten Nachweisen etwas wird anfangen können, ließe sich fragen.
Nach einer lehrreichen und konzisen, der Leitfrage »Was sind Gesangbücher?« folgenden »Einführung« (13–32) gliedert sich die Darstellung zenturial, indem nacheinander und bei ausgewogener Quantifizierung das 16. bis 20. Jahrhundert aufgerufen und kundig, ausgewogen sowie allermeist unparteilich inspiziert werden (der verständnisarme Spott über aufklärerische Umdichtungen älterer Lieder scheint freilich unausrottbar zu sein). Dabei finden sich epochale Gesangbuchausgaben ebenso berücksichtigt wie konzeptionelle Tendenzen, kontextuelle Prägungen und strukturelle Verschiebungen. Nur zwei Kapitel weisen in der Überschrift einen Personennamen auf, was für den »Lutheraner im Barock« Paul Gerhardt (113–118), anders als im Falle von Friedrich Schleiermacher (187–192), als sachlogisch zwingend vollkommen einleuchtet. Am Ende des chronologischen Durchgangs benennt ein knapper »Ausblick« (247–251) fünf diskussionswürdige Kriterien, an denen sich der Qualitätsanspruch geistlicher Lieder zu messen habe.
Drei instruktive Zugaben aus der Feder externer Autorinnen ergänzen den Band. So berichtet Esther P. Wipfler über »Form und Funktion der Illustration evangelischer Gesangbücher« (252–258), Christiane Schäfer referiert die Entstehung und Geschichte des Mainzer Gesangbucharchivs (259–263) und Nina Eichholz macht mit dem im Hildesheimer Michaeliskloster ansässigen Gesangbucharchiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vertraut (264–268).
Nützliche Hilfe gewähren das im Anhang aufscheinende »Verzeichnis der Liedanfänge« (283–286), denen, sofern möglich, jeweils die entsprechende EG-Nummer zugewiesen ist, sowie das vollständige, fast durchweg mit Lebensdaten versehene Personenregister (287–292) – und möglicherweise auch die am Ende des Vorworts der »breite[n] Leserschaft« als Animation mitgeteilte Weisheit »Im Singen gehen wir über uns hinaus – diese Erfahrung kann man aber eben nur im Singen selbst machen« (9).

Albrecht Beutel (Münster/Westf.)

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