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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

404-406

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dirscherl, Erwin, u. Markus Weißer [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Wirksame Zeichen und Werkzeuge des Heils? Aktuelle Anfragen an die traditionelle Sakramententheologie.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 376 S. = Quaestiones disputatae, 321. Kart. EUR 52,00. ISBN 9783451023217.

Rezensent:

Gunther Wenz

Nach dem Urteil Goethes, wie es im siebenten Buch von »Dichtung und Wahrheit« ausgesprochen ist, hat der protestantische Gottesdienst »zu wenig Fülle und Konsequenz, als daß er die Gemeine zusammenhalten könnte«. Eine zwangsläufige Folge davon sei der fortschreitende Schwund regelmäßiger Kirchgänger. Als wesentliche Ursache für das gottesdienstliche Defizit gilt dem Olympier der mangelhafte Sinn für das Sakramentale im Protestantismus.

Auch vielen Katholiken hierzulande ist der sakramentale Sinn mittlerweile abhandengekommen, was für die Frequenz ihrer Gottesdienstbesuche evidentermaßen nicht förderlich ist. In dieser Situation ist es Zeit für aktuelle Anfragen an die traditionelle Sakramententheologie, wie es im Untertitel des Sammelbandes heißt, der eine internationale Tagung zum Thema an der Universität Regensburg vom März 2021 dokumentiert. Ob der Synodale Weg in Deutschland und die synodalen Prozesse der Weltkirche von den vorgelegten Referaten profitieren werden, wie die Herausgeber im Vorwort vermuten, muss sich zeigen. Offenkundig ist, dass die entsprechenden Bewegungen motivierend auf manche der versammelten Beiträge eingewirkt haben. Vergleicht man ihre Ausrichtung beispielsweise mit der »Positionsschrift« (14) von Karl-Heinz Menke »Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus« (Regensburg 2012, 42020), auf die einleitend eigens Bezug genommen wird, so zeigt sich rasch, wie disparat der Katholizismus in Deutschland derzeit auch in sakramentstheologischer Hinsicht aufgestellt ist.

Wenn beide dasjenige sind, wofür sie Menke hält, muss man im Verein mit ihm tatsächlich von einer Grunddifferenz zwischen römischem Katholizismus und Protestantismus sprechen. Anders stellt sich die Lage im Horizont der meisten der im vorliegenden Sammelband vereinten Beiträge dar. Sie teilen weder Menkes eigentümliche Gegenüberstellung eines inkarnations- und eines inspirationstheologischen Modells, noch seine kontroverstheologischen Kontrastierungsstrategien, sondern sind sakramentstheologisch bei eindeutiger konfessioneller Positionierung aufgeschlossen für evangelische Belange und offen für einen differenzierten ökumenischen Konsens. Dies gilt auch im Blick auf die Amtstheologie, an der echte praktische Fortschritte in der Frage der Abendmahlsgemeinschaft bislang gescheitert sind, weil man von offizieller rö­mischer Seite von einer Inkompatibilität der Standpunkte hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von ordinationsgebundenem Amt und gemeinsamem Priestertum aller Gläubigen ausgegangen ist. Nach Maßgabe beispielsweise der Studie des Münsteraner Dogmatikers Michael Seewald über den »Dienst des Weiheamtes im Kontext der ekklesialen Vergegenwärtigung Christi« (324–342) lässt sich eine solche Unvereinbarkeit nicht mehr ohne Weiteres behaupten.

Die Unentbehrlichkeit des durch Ordination übertragenen Amtes wird in Seewalds Argumentation gewahrt, aber zugleich mit dem Priestertum aller Getauften dergestalt verbunden, dass die Besonderheit des besonderen kirchlichen Amtes mit der Allgemeinheit des allgemeinen Priestertums konsistent vermittelt ist. Durch eine solche Bestimmung kann, wie Seewald vermutet, »möglicherweise fatalen Auratisierungen dieses Amtes« entgegengewirkt werden. »Auch das ein oder andere bizarre, aber wirkmächtige Theo­logoumenon […] verlöre an Bedeutung.« (342) Als Beispiel wird die Annahme genannt, es bedürfe spezifischer Geschlechtsmerkmale, um zu einer amtlichen Christusrepräsentanz befähigt zu sein.

Menke hatte den ökumenischen und mittlerweile auch binnenkatholischen Konflikt um die prinzipielle Möglichkeit einer Ordination von Frauen als »Symptom für eine tiefe Verwundung bzw. Verdunstung des sakramentalen Verständnisses der Schöpfung« (K.-H. Menke, 75) und insbesondere der kreatürlichen Geschlechterdifferenz von Mann und Frau gewertet. Diese stelle ein sakramentales Schöpfungssymbol und charakteristisches Kennzeichen göttlichen Schöpferwillens dar. Zwar teilten Mann und Frau die menschliche Natur, ohne deshalb in ihrem Verhältnis zu Gott und untereinander gleich zu sein. Ihr Beziehungsgefüge sei nicht nur durch Verschiedenheit, sondern durch eine gottgewollte Asymmetrie, ja Hierarchie insofern bestimmt, als der Mann, wie es heißt, mit dem Schöpfer in gewisser Weise der Schöpfung gegenübersteht und das Prae des schöpferischen Logos ihr gegenüber repräsentiert, wohingegen die Frau als »genuine Repräsentantin des Antwortcharakters aller Geschöpfe« (Menke, 85) zu gelten habe. Mit einer solchen Position kann sich Seewald nicht nur nicht befreunden, er kritisiert sie vielmehr entschieden. Nach seinem Urteil ist sie »nicht nur mit Blick auf die ihr zugrundeliegende sexualtypologische Zuordnung von angeblich aktiv-tätiger und vorgeblich passiv-empfangender Weiblichkeit unverständlich, sondern sie würde auch amtstheologisch gegenstandslos, wenn sich – wofür es gute Gründe gibt – amtliches Tun nicht auf das agere in persona Christi capitis zugespitzt fände« (Seewald, 342).

Zusammen mit der von Seewald behandelten Ordination zählt die römische Lehre sieben Sakramente, von denen jedes im vorliegenden Sammelband eingehend behandelt wird: Taufe (Johanna Rahner), Firmung (Gregor Maria Hoff), Buße bzw. »Sakrament der Versöhnung« (Roman A. Siebenrock), Eucharistie (Jan-Heiner Tück), Krankensalbung (Bertram Stubenrauch), Ehe (Julia Knop). Vorgeschaltet sind Erwägungen zur »allgemeinen« Sakramentenlehre, in der traditionell über die sakramentale Heilsökonomie, die sakramentalen Zeichen des sogenannten Alten Bundes, über die Kirche als Heilssakrament und die begriffliche Fassung der kirchlichen Einzelsakramente gemäß Wesen, Spender, Empfang, Ordnung und Wirkung etc. befunden wird. Die Beiträge nehmen auf die Überlieferung vielfachen Bezug, wobei entschieden gegen eine »nachträgliche Entwertung der Glaubensvollzüge Israels oder des Judentums« (17) sowie für eine »Priorisierung der soteriologischen Funktion« (ebd.) der Sakramente und ihre pneumatologische Eigendynamik plädiert wird. Auch zur Herausforderung durch die neuen Medien finden sich Reflexionen. Besonderes Interesse zieht fernerhin die Semiotik sakramentaler Vollzüge und ihre ästhetisch-leibhafte Dimension auf sich.

Folgende Autoren kommen nach der Einleitung der Herausgeber zu Wort:Hans-Joachim Höhn, Hans-Joachim Sander, Knut Wenzel, Isabella Guanzini, Magnus Lerch, Markus Weißer. Texte von Benedikt Kranemann, Dominik Markl, Sabine Demel undUte Leimgruber unter der Überschrift »Interdisziplinäre Perspektiven« schließen sich an. Thematisiert werden dabei liturgietheologische und kirchenrechtliche Probleme, Riten der Resilienz sowie der Vulneranz von Seelsorge-Settings. Neue Perspektiven und ökumenische Horizonte sucht Dorothea Sattler am Beispiel der Zeichenhandlung der Fußwaschung zu eröffnen, die »gegenwärtig im Pontifikat von Papst Franziskus wieder neu entdeckt wird« (211).

Nach Urteil Georg Wilhelm Friedrich Hegels stellt der Katholizismus »im Vergleich zum Protestantismus nur eine untergeordnete Verwirklichung des Begriffs der Religion« dar (P. Jonkers, Eine ungeistige Religion. Hegel über den Katholizismus, in: Hegel-Jahrbuch [Berlin] 2010: Geist? Erster Teil, 400–405, hier: 400). Jan-Heiner Tück hat in seinem Beitrag »Über die therapeutische Dimension der Eucharistie in Zeiten der Krise« auf dieses Verdikt und seine abendmahlstheologischen Implikationen eigens Bezug genommen. Er hat dies in der Absicht getan, in der betonten »Äußerlichkeit der Gabe« (313) des Altarsakraments anders als der Absolutheitsphilosoph »einen entscheidenden Vorzug« (ebd.) der Theorie und Praxis seiner Kirche zu finden. Darüber sowie über die Prämissen und Konsequenzen dieser These lohnt es sich, interkonfessionell zu diskutieren. Zur Vorbereitung empfiehlt sich für Protestanten und Katholiken das eingangs erwähnte siebente Buch im zweiten Teil von »Dichtung und Wahrheit«, wo Goethe sagt, der Christ müsse »gewohnt sein, die innere Religion des Herzens und die der äußeren Kirche, als vollkommen eins anzusehen«.