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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

373-374

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Langbehn, Claus

Titel/Untertitel:

Kultur des Selbstdenkens. Versuch über öffentliche Philosophie.

Verlag:

Weilerswist-Metternich: Velbrück Wissenschaft 2022. 136 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 9783958323070.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Dass es eine öffentliche Philosophie gibt, behauptet der Autor nicht. Dass es sie geben könnte und sollte, sehr wohl. »Öffentliche Philosophie ist radikal themenoffen – öffentliche Philosophen beschäftigen sich mit allem, was sie interessiert« (8). Claus Langbehn interessiert die Möglichkeit solcher Philosophie, genauer solchen Philosophierens, das für andere zugänglich ist, auch wenn es sie nicht interessiert. Im ersten Kapitel (Eine These zur Philosophie) entfaltet er diese Möglichkeitsthese. Im zweiten Kapitel (Vom Selbstdenken zum philosophischen Selbstdenken) geht er dem Unterschied von Alltagsdenken und philosophischem Denken nach. Im dritten Kapitel (Expertenkultur und öffentliche Philosophie) geht er dem Unterschied zwischen Expertenwissen und der Praxis öffentlichen Philosophierens nach. Im vierten Kapitel (Philosophie der Welt-Ausstellung) arbeitet er die Differenz zwischen einem praktischen und einem philosophischen Weltbegriff heraus, mit dem geistigen Raum der Themenfelder, dem Geltungsraum von Wahrheit und dem öffentlichen Raum von Dialog und Diskurs in der Gesellschaft. Religion kann ihm zufolge in diesem Zusammenhang nur Gegenstand eines Nachdenkens »über Religion, nicht aber durch Religion sein« (96). »Was Religionen für wahr halten, speist sich aus der Autorität von Quellen, die nur jene anerkennen können, die selbst glauben.« (96) Das ist eine bekannte These, die nicht dadurch besser wird, dass man sie ständig wiederholt. Selbst in Religionen könnte sich etwas finden, was auch für andere von existenzieller Bedeutung ist. Das entscheidet sich ja an der Tragfähigkeit einer Einsicht und nicht an ihrer Herkunft, wie die Aufklärer nicht müde wurden einzuschärfen. Im fünften Kapitel (Kultur, Identität und Selbstverständnis) geht es im Anschluss an Herder um die Erarbeitung eines Kulturbegriffs, der keine Überlegenheit einer Kultur über andere kennt. Man solle »Unterschiede zwischen Menschen nicht als Unterschiede zwischen Individuen, sondern als Unterschiede zwischen Gruppen von Individuen« verstehen und diese »Vielfalt von Lebensweisen« als »Reichtum an unterschiedlichen Möglichkeiten menschlichen Lebens und Zusammenlebens« würdigen (115). Kulturelle »Ganzheitsorientierung« hält L. daher für problematisch und konzentriert sich auf »Aspektorientierung« (117). Unter Kultur sollte man »nicht das Ganze kultureller Erscheinungen (in einem Volk), sondern einen kulturellen Aspekt und damit eine bestimmte kulturelle Praxis verstehen« (118). Das ist allenfalls der Beginn einer Klärung und ignoriert, dass es so etwas wie einen Wettstreit unter Kulturen gibt, weil es zwar viele Möglichkeiten gibt, sich aber nicht alle verwirklichen lassen. Überzeugender ist L.s Unterscheidung zwischen Identifizieren-als und Identifikation-mit (122). Das erste folgt öffentlichen Regeln, beim zweiten dagegen »macht es keinen Sinn, nach öffentlichen Regeln dieser Identifikation zum Zwecke ihrer Prüfung auf Richtigkeit zu fragen« (122). Sofern Kulturen auf ein so begründetes Selbstverständnis aufbauen, kann man sie zwar beschreiben, aber nicht wirklich beurteilen. Oder besser: Jeder tut das dann eben auf seine Weise. Am Ende kommen L. dann doch Zweifel: »Das Konzept öffentlicher Philosophie wäre kein philosophisches, wenn es in den gemütlichen Positivismus seiner Inhalte übergeht« (225). Und so bleibt am Ende nur der Rat, »in einem philosophischen Gespräch und Selbstgespräch darüber zu bleiben, wie sie möglich ist« (126). Was gewonnen wäre, wenn sie das ist, bleibt dunkel.