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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

163–164

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pye, Michael

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichte Japans.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2022. 400 S. m. 5 Abb. = Die Religionen der Menschheit, 22,2. Geb. EUR 119,00. ISBN 9783170028340.

Rezensent:

Stefan S. Jäger

In den letzten beiden Jahrzehnten sind zahlreiche wissenschaftliche Monographien zu Religionen Japans auch auf Deutsch erschienen, auch wenn sich das Englische als Forschungssprache weitgehend durchgesetzt hat. Dass der Kohlhammer Verlag nun in seiner renommierten Reihe »Religionen der Menschheit« einen Band realisiert hat, der die Breite sowie die Besonderheiten reli- giöser Formationen und Entwicklungen in Japan als geographisch und kulturell definiertem Raum zusammenfasst, ist sehr zu begrüßen. Mit Michael Pye, Prof.em. für Religionswissenschaft der Universität Marburg, konnte ein intimer Kenner Japans und japanischer Religionen für diese Aufgabe gewonnen werden. Damit liegt nun endlich wieder ein Band vor, der aktuelle Forschung abbildet und zugleich einen eigenständigen Beitrag leistet. Allerdings stammt die letzte deutschsprachige Gesamtdarstellung von Thomas Immoos »Ein bunter Teppich: Die Religionen Japans« (Leipzig 1989, nicht wie erwähnt von Wilhelm Gundert 1935, ND 1943). Und der von Kasahara Kazuo herausgegebene (!) Band steht auch in englischer Übersetzung zur Verfügung (»A History of Japanese Religion«, Tokyo 2021).

Die Darstellung ist in elf Kapitel mit jeweils vier bis acht Unterthemen gegliedert. Nach einer Einführung in methodologische und terminologische Fragen (Kap. 1) werden in diachroner Perspektive die religiösen Entwicklungen nachgezeichnet. Von der schriftlosen Frühzeit und deren Mythologien, wie sie nach der Einführung chinesischer Schrift und des Buddhismus im 6. Jh. rekonstruiert wurden (Kap. 2), bis zu »Japans religiöse[r] Gegenwart« (Kap. 11) orientiert sich P. in den Kapiteln 3–10 wesentlich an der in japanischer Historiographie üblichen Epocheneinteilung, deren Bezeichnungen zum Teil von den jeweiligen Machtzentren (Nara, Kyoto, Kamakura, Edo) oder einschneidenden Ereignissen (Meiji Restauration 1868 oder Kriegsende 1945) abgeleitet sind. Dadurch wird die Verflechtung von politischer Geschichte mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen und religiösen Entwicklungen in den Fokus gerückt.

Im Mittelpunkt der Darstellung stehen naturgemäß Shintō (»Weg der Götter«), der später vor allem im Unterschied zum Buddhismus (»Weg Buddhas«, jap. Butsudō) als kohärentes System einer ursprünglichen Nationalreligion konstruiert wurde, sowie die verschiedenen Formationen des Buddhismus (sechs »Nara-Schulen«, Tendai und Shingon während der Heian-Periode sowie Reines Land, Zen und Nichiren-Buddhismus in der Kamakura-Zeit). Gerade in Bezug auf Shintō hat sich in der Forschung der letzten 40 Jahre ein Paradigmenwechsel vollzogen, wobei ein deutlich differenzierteres Bild gezeichnet wird und die Frage im Mittelpunkt steht, ab welchem Zeitpunkt man überhaupt von »Shintō« in heutigem Sinn sprechen kann. Demgemäß findet sich ein Abschnitt zu dem im 15. Jh. entstandenen Yoshida-Shintō (6.4) und ein eigenes Kapitel (8) zum Shintō erst in der Moderne.

Da in derselben Reihe (RM 24,3, 2018) bereits der Abschnitt über »Entwicklung und Vielfalt des Japanischen Buddhismus« von P. verfasst wurde, wird im Vorwort darauf verwiesen, dass »die beiden Darstellungen komplementär zu verstehen« (12) sind. Das ist etwas unbefriedigend, zumal japanisch-buddhistische Formationen (nicht nur Zen) auch durch ihre globale Ausbreitung im 20. Jh. von besonderer Bedeutung sind. Die Geschichte des Christentums in Japan wird in drei Abschnitten von den Anfängen der römisch-katholischen Mission 1549 (6.5) über die Zeit der Christenverfolgungen während der japanischen Selbstisolation (sakoku) (7.2) bis zu den Entwicklungen in der Moderne (9.4) nachgezeichnet. Charakteris-tisch für die neuere Religionsgeschichte Japans ist die erstaunliche Produktivität im Blick auf so genannte Neureligionen (8.5; 9.5). Eine synchrone Perspektive nehmen die zahlreichen thematischen Abschnitte ein wie »Tempelbau, Tempelverlegungen und Tempelgeschichten« (6.2), »Konfuzianismus und Moralerziehung« (7.3), »Pilgerfahrt im Buddhismus und im Shintō« (7.6) oder »Der Yasukuni-Schrein und andere Streitpunkte« (10.4). Dass die Bedeutung schamanischer und volksreligiöser Aspekte wie auch Ahnenverehrung berücksichtigt werden, ist besonders hervorzuheben. Leider ist der Religion der nur kurz erwähnten Ainu kein eigener Abschnitt gewidmet. Erst im Jahr 2019 wurden die Ainu offiziell als indigene Bevölkerung (senjūminzoku) Japans anerkannt und die Förderung der Ainu-Traditionen als staatliche Aufgabe gesetzlich verankert.

Wie die religiösen Dynamiken im Kontext gesellschaftlicher und politischer Prozesse, mit denen sie eng verflochten sind, wird auch das wechselvolle und durch gegenseitige Beeinflussungen geprägte Verhältnis der Religionen untereinander differenziert dargestellt. Dadurch ergibt sich ein komplexes Gesamtbild. Auch die kulturprägende Kraft japanischer Religionen wird dabei in den Blick genommen. Über das ausführliche Register (384–400) lassen sich einzelne Aspekte der materialreichen Darstellung schnell auffinden. Gelegentlich wird noch ältere Literatur verarbeitet, wo aktuelle Fachpublikationen zur Verfügung stünden. Hilfreich sind die tabellarischen Übersichten zur Chronologie (24–29; 168–169), fünf Karten zu Provinzen und religiös wichtigen Orten, sowie ein Glossar (372–382). Zumindest im Glossar wären die Begriffe zusätzlich in japanischer Schrift angemessen, auch wenn das Buch explizit nicht für Japanologen intendiert ist (12). Insgesamt bietet die Darstellung einen umfassenden und allgemeinverständlichen Überblick, die durch ihre Prägnanz und Konzentration auf Grundlinien überzeugt. Als »Orientierungshilfe für die japanische Religionsgeschichte« (12, kursiv im Original) konzipiert, füllt dieser Band zugleich eine bislang schmerzlich empfundene Lücke auf hohem Niveau.