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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

806–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Drimbe, Amiel

Titel/Untertitel:

The Church of Antioch and the Eucharistic Traditions (ca. 35–130 CE).

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIV, 304 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 529. Kart. EUR 84,00. ISBN 9783161583087.

Rezensent:

Angela Standhartinger

Die von Andrew D. Clarke und Mark J. Edwards am Oxford Centre for Mission Studies betreute Dissertation des am Baptist Theological Institut of Bucharest arbeitenden Kollegen möchte die Hypothese plausibilisieren, dass die meisten der neutestamentlichen Szenen, die die Einsetzungsworte enthalten (Mk 14,22–25/Mt 26,26–29; 1Kor 11,23–26/Lk 22,17–20 sowie Did 9–10) zwischen 35 und 70 n. Chr. in Antiochien entstanden sind oder für den dortigen liturgischen Gebrauch modifiziert wurden. Die Pluralität dieser nach Meinung Amiel Drimbes liturgisch verwendeten Texte erkläre sich aus der Vielfalt von Hausgemeinden, deren Feiern sie repräsentierten. Zwischen 35–70 habe man in Antiochien keine eucharistische Traditionen verdrängt, ausgeglichen oder synthetisiert, sondern sie vielmehr nebeneinander verwendet und dabei weiterentwickelt. Erst zwischen 80 und 130 n. Chr. entstanden Konkurrenzen, die in den Briefen des Ignatius von Antiochien sichtbar würden. Dieser habe mehrere Versionen von Einsetzungsworten gekannt, aber aus Gründen seiner theologischen Grenzziehungen gegen judenchristliche und doketische Gruppen alle außer den paulinischen aus 1Kor 11,23–26 verworfen.

Mit seinen Thesen möchte D. Widerspruch gegen Thesen von John P. Meier anmelden, der eine Verschmelzung und Integration verschiedener theologischer Strömungen in dieser für das Judentum und entstehende Christentum gleichermaßen bedeutsamen Metropole am Orontos vermutet (siehe John P. Meier, Antiochia, in: Raymond E. Brown/John P. Meier [Hgg.], Antioch and Rome. New Testament Cradles of Catholic Christianity, New York u. a. 22004 [1983], 11–86). Anders als Meier wählt D. jedoch nicht Gal 2,11–14 als Ausgangspunkt und über Meier hinaus bezieht er auch die Didache in seine Überlegungen ein. Das zugrunde gelegte heuristische Modell schließt sich Larry Hurtados Kritik an Walter Bauers unvermitteltem Pluralitätsmodell an und vermutet eine »interactive diversity« (17) in den liturgischen Praktiken der Mahlfeiern in den verschiedenen Hausgemeinden.

Kapitel 2–3 wenden sich der von Paulus mitgeteilten Tradition aus 1Kor 11,23–26 zu. Mit der u. a. von Andreas Lindemann geäußerten Kritik an der Engführung der in 1Kor 11,17–34 diskutierten korinthischen Mahlkonflikte auf den Antagonismus zwischen Armen und Reichen schlägt D. vor, das Problem anhand seiner Lösung zu rekonstruieren. Paulus betone zweimal, man solle »zu Hause essen« (1Kor 11,22.34). Anders als Lindemann bemisst D. den Einsetzungsworten eine Funktion bei, die dieses »zu Hause essen« begründet. Kapitel 3 diskutiert ausführlich, warum die paulinische Tradition tatsächlich in Antiochia und nicht etwa in Damaskus oder in Jerusalem zu verorten sei. D. beobachtet einen gegenüber Mk 14,22–25 verstärkten sprachlich griechischen Charakter, die Spiegelung eines mit den Worten gefeierten rituellen Vollzuges und Universalisierungstendenzen.

Damit stellt sich die Frage, ob auch Mt 26,26–29 hierher gehört. Kapitel 4 diskutiert ausführlich mögliche Orte der Entstehung des Matthäusevangeliums, das ja von den meisten in Syrien, aber lediglich von Burnett H. Streeter, David C. Sim und Michelle Slee in dem städtischen Milieu von Antochia verortet wird. D. stellt die Argumente hilfreich zusammen, bleibt sich aber des hypothetischen Charakters dieser Entscheidung bewusst. Denn gerade die an Mk 14,22–25 orientierten und damit von der antiochenischen Tradition aus 1Kor 11,23–26 abweichenden Worte aus Mt 26,26–29 scheinen dieser Lokalisierung zu widersprechen. Jedoch, wie D. zeigen möchte, passt Mt 26,26–29 seine Vorlage aus Mk 14,22–25 nicht nur stärker an ein zu feierndes Ritual an, mit der Integration der Sündenvergebung (Mt 26,28: »zur Vergebung der Sünden«) nehme sie eine auf Petrus zurückzuführende Formulierung auf (vgl. Mt 3,6; Apg 2,38; 5,31; 10,43). Das Matthäusevangelium entstamme insgesamt der petrinischen Tradition. Hierin spiegele sich auch der zeitgeschichtlich schwindende Einfluss des Paulus und der sich verstärkende des Petrus nach dem antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11–14).

Kapitel 6 möchte die Entstehung der Didache in Antiochia plausibilisieren. Für ein städtisches Umfeld wie Antiochia sprächen die Abfassung in Griechisch und die sprachliche Beeinflussung durch die LXX. Die Mahlgebete in Did 9–10 könnten zwar prinzipiell auch andernorts entstanden und nachträglich eingefügt worden sein, jedoch entdeckt D. Verbindungen zu späteren in Antiochia verorteten Traditionen wie das Fehlen der Einsetzungsworte in den sogenannten Anaphora of Addai and Mari und das Bild vom verteilten Brot in den Apostolischen Konstitutionen 7.25.3. Außerdem zeigten die Didache (genauer Did 1–6) sowie das Vaterunser (Did 8,1 vgl. Mt 6,9–11) Einflüsse des Matthäusevangeliums. Angesichts der sich etwa im Abschnitt zur Taufe (Did 7) und zu den Wandermissionaren (11–13) spiegelnden ländlichen Situationen muss dies natürlich besonders hypothetisch bleiben. Worum es D. geht, das zeigt Kapitel 7, sind jedoch die Mahlgebete aus Did 9–10. Dabei zeigten sich mit den eucharistischen Mahlgebeten über ein Sättigungsmahl in Did 9,1–5 und der – nach Meinung D.s – mit den Einsetzungsworten verbundenen Einleitung in die Eucharistie Did 10,2–6 zwei verschiedene Traditionsstufen, die bis in die Zeit des Matthäusevangeliums zurückreichten.

Kapitel 8 beobachtet schließlich, dass Ignatius keine eucharis-tische Tradition zitiert und indirekt lediglich auf 1Kor 10,16 f.; 11,25 in Ign Phld 4.1 anspielt. Als Grund für diesen angesichts der Prominenz des Mahlthemas in den Ignatiusbriefen überraschenden Befund vermutet D. die Feindschaft mit den Mt 26 und Did 9–10 verwendenden jüdischen und doketischen Gruppen. Die für sich aus Ignatius (freilich für andere Städte als Antiochia) abzuleitende Situation zeige die konfliktreiche Weiterentwicklung zwischen 80 und 130 n. Chr. in Antiochia. Vorher aber seien die drei Formen von Mahlgebeten nach Did 9,1–5, Mt 26,26–29 und 1Kor 11,23–26 nebeneinander – sozusagen in einem unvermischten und gleichwohl ungetrennten Nebeneinander in den verschiedenen Hausgemeinden präsent gewesen. Mit dieser Pluralität der christlich liturgischen Praktiken sei Antiochia im 1. Jh. ein Vorbild für eine auch heute relevante ökumenische Einheit in Vielfalt.

D.s Thesen sind kirchenpolitisch aktuell und relevant. Es gelingt D., viele internationale Forschungsansätze in ein produktives wissenschaftliches Gespräch zu verwickeln. Wichtig finde ich auch den Ansatz bei der Praxis gemeindlicher Mahlfeiern und damit bei den Erfahrungen der sich dem Christusglauben Anschließenden. Die Attraktivität dieser Gruppen war sicher wesentlich von dem positiven Erleben ihrer Mitglieder bestimmt, vermutlich mehr als von der Überzeugungskraft der Apostel. Die Grundthese, dass die Einsetzungsworte in ihren vielfältigen Formulierungen in den gemeindlichen Feiern einen liturgischen Ort hatten, halte ich für sehr plausibel. Natürlich bleibt D.s Lokalisierung aller Einsetzungsworte in Antiochia hypothetisch. Die Verortung des Matthäusevangeliums und der Didache scheint dabei besonders schwierig und selbst die von Paulus überlieferte Tradition aus 1Kor 11,23–25 kann in Antiochia, aber ebenso auch in Damaskus oder andernorts entstanden sein. Vielleicht könnten solche topographischen Studien noch mehr gewinnen, wenn sie die Dynamiken zwischen Stadt und Land und vor allem die Zwischenräume in den Blick nehmen. Dass die Rezensentin zu solchen Fragen angeregt wird, spricht für die Produktivität von D.s Hypothesen.