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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1229-1231

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Arndt, Johann

Titel/Untertitel:

Vier Bücher von wahrem Christentum (1610). Buch 1. Kritisch hg., kommentiert u. m. e. Nachwort versehen v. J. A. Steiger unter Mitwirkung v. Th. Illg.

Verlag:

Hildesheim u. a.: Georg Olms Verlag 2020. I, 519 S. m. 8 Abb. = Philipp Jakob Spener Schriften. Sonderreihe: Texte – Hilfsmittel – Johann-Arndt-Archiv, 7. Geb. EUR 198,00. ISBN 9783487158938.

Rezensent:

Stefan Michel

Das Luthertum kennt eine Reihe von klassischen Erbauungs- und Andachtsbüchern, die über einen größeren Zeitraum die Frömmigkeit der lutherischen Christenmenschen prägten. An erster Stelle stehen dabei vielleicht die »Vier Bücher vom wahren Christentum« (fortan: BWC) Johann Arndts (1555–1621), die unzählige Male in verschiedenen Verlagen vom 17. bis zum 20. Jh. publiziert wurden. Den Druckern und Verlegern versprach ein solcher Nachdruck Gewinn, da der Text begehrt war. Eine historisch-kritische Ausgabe der BWC, auf deren Grundlage vor allem die Intentionen A.s weiter erforscht werden können, existierte bislang nicht. Dies mag daran liegen, dass die Erstellung einer solchen Edition insbesondere für das erste Buch der BWC vor der Schwierigkeit stand, dass A. den Text zwischen 1605 und 1610 überarbeitete, so dass fünf zum Teil abweichende Fassungen bekannt sind. Seit Jahren bemühte sich Johann Anselm Steiger um eine solche Edition und legte dafür bereits in den Jahren 2005 und 2007 die erste Ausgabe des ersten Buches von 1605 sowie die erste Gesamtausgabe der BWC von 1610 als Reprint vor.
A. brachte in der Vorrede zum ersten Buch der BWC sein Anliegen zum Ausdruck, die in seinen Augen zu sicher lebenden Menschen seiner Zeit zur Buße führen und damit die praxis pietatis anregen zu wollen. Die Erneuerung des Menschen sollte so be-fördert werden. Nur durch Buße und eine konsequente Imitatio Christi könnte sich der christliche Glaube auch im Leben der Menschen zeigen. A.s Gedanken kreisten um Erfahrung und die Wirkung des Heiligen Geistes im Menschen. Entsprechend rezipierte er mittelalterlich-mystische Texte, die er im Umfeld der Erarbeitung der BWC auch publizierte. Dazu zählen die Theologia deutsch, De imitatione Christi des Thomas von Kempen oder Werke Johann Taulers. Diese Schriften bilden unter anderem den Hintergrund zu den BWC. Aus Briefen A.s an Johann Gerhard kann die Druckgeschichte der BWC erhellt werden (479 f.). A. verfasste das erste Buch der BWC in Braunschweig, wo er wegen dieser Publikation und aus politischen Gründen angefeindet wurde. Unter diesem äußeren Druck arbeitete er das erste Buch der BWC 1606 um. Trotzdem nahmen die Angriffe auf A. als »einen Enthusiasten und Synergisten« nicht ab (486). Schließlich verließ A. Ende 1608 Braunschweig und wechselte auf die Pfarrstelle an St. Andreas in Eisleben, die er am 1. Januar 1609 antrat. Hier setzte er seine Arbeit an den BWC fort.
Der Herausgeber Johann Anselm Steiger, der von Thomas Illg unterstützt wurde, legte der Edition die bereits in anderen von ihm besorgten kritischen Textausgaben bewährten Editionsgrundsätze der Johann-Gerhard-Ausgabe zugrunde. Demzufolge bietet die Edition einen weitgehend vorlagengetreuen Text (vgl. den editorischen Bericht, 459–461) der ersten Gesamtausgabe von 1610. Dieser Leittext wurde mit den Ausgaben von 1605, 1606 (zwei Ausgaben), 1607, ca. 1615 und 1617 verglichen (Beschreibung, 431–437). Durch die Verzeichnung aller Varianten kann sich der Nutzer selbst ein Bild von der Zuverlässigkeit der jeweiligen Überlieferung machen. Der sparsame Kommentar, der mit großer Sorgfalt erstellt wurde, weist neben Bibelstellen alle anderen Zitate nach und erläutert heute ungebräuchliche Wortbedeutungen. Rasch stößt man so auf Gedanken, die A. von Augustinus kannte oder von Paracelsus oder Valentin Weigel übernahm.
Das Buch bietet neben dem ersten Buch der BWC (1–409) einen Anhang mit der Vorrede zur zweiten Auflage des ersten Buches der BWC von 1606 (413–428). Hier sind die Abweichungen zur ersten Auflage von 1605 verzeichnet, woraus der Bearbeitungsprozess er­hellt wird. Anhang II beschreibt die der Edition zugrunde gelegten Drucke gründlich und benennt ihre Standorte (431–437). Es folgen das Verzeichnis der Emendationen (439–448), das Quellen- und Literaturverzeichnis (449–458), der editorische Bericht (459–465) so­wie ein ausführliches Nachwort (467–494). Abbildungen der Titel blätter aller verwendeten Auflagen und des Einbandes von 1605 (495–502) erleichtern zukünftig die Bestimmung noch aufzufindender früherer Ausgaben der BWC. Schließlich erstellten die Bearbeiter ein Bibelstellen- (503–511) und Personenregister (513–515).
Eindrücklich zeigen die Bearbeitungen des ersten Buches der BWC das Ringen um eine lutherische Position um 1600. Was soll das sein? Bedeutete Luthertum nur die Orientierung an der Lehre Martin Luthers und der Konkordienformel? Wohl kaum. Die endlich vorgelegte historisch-kritische Edition des ersten Buches der BWC ermöglicht nun eine weitere Erforschung des Luthertums um 1600, die zeigt, wie die Rezeption von Kirchenvätertexten oder mystischen Schriften fortgesetzt wurde. Nicht nur die wenigen Arndt-Spezialisten sind nun dazu in der Lage, sondern ein großer Kreis kirchenhistorisch Interessierter. Dem Herausgeber ist für seine Mühe zu danken. Zugleich besteht die Hoffnung, dass die weiteren Bände bald folgen werden.