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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1089–1090

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wolf, Ursula

Titel/Untertitel:

Handlung, Glück, Moral. Philosophische Aufsätze.

Verlag:

Berlin: Suhrkamp Verlag 2020. 350 S. = suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 2295. Kart. EUR 22,00. ISBN 9783518298954.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Der vorliegende Band sammelt 21 Aufsätze von Ursula Wolf aus drei Jahrzehnten und macht sie so neu zugänglich. Der älteste der in die Sammlung aufgenommenen Aufsätze, »Kunst, Philosophie und die Frage nach dem guten Leben«, wurde 1991 in dem von Franz Koppe herausgegebenen Band »Perspektiven der Kunstphilosophie« publiziert, der jüngste, »Die Rolle des thymos in Platons Handlungstheorie« geht auf einen 2015 gehaltenen Vortrag zurück und ist im vorliegenden Band zum ersten Mal veröffentlicht. Auch mit »Das Wunsch-Meinungs-Modell und die Kontroverse zwischen Externalisten und Internalisten«, geschrieben 2010, ist ein Originalbeitrag in der vorliegenden Aufsatzsammlung.
Die Aufsätze sind unter den drei Stichworten des Buchtitels, Handlung, Glück, Moral in drei Abschnitte gegliedert, wobei W. in diesem Band die Verknüpfung der drei Bereiche aufzeigt. So sind für W. moralische Phänomene nur in dem breiteren Kontext der Frage nach dem guten Leben sinnvoll zu reflektieren. Diesen An­satz findet W. vor allem in der antiken Ethik. So setzt sie sich in den gesammelten Aufsätzen schwerpunktmäßig mit Platon und vor allem Aristoteles auseinander. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Entwicklung handlungstheoretischer Grundbegriffe und Grundstrukturen des Lebens und Handelns, deren Ausarbeitung die Philosophin in der praktischen Philosophie der Neuzeit, die auf Moraltheorie verengt bleibe, vermisst. Handlungstheoretische De­batten verlören sich, so W., »oft ohne nachvollziehbare Problemstellung in immer neue Spitzfindigkeiten«, weshalb W. in den Beiträgen zur Handlungstheorie diese wieder »in die ethische Frage zurückholen« will. So untersucht sie, wie weit sich die strukturelle Ordnung des Handelns auf den Begriff des Guten in der Philosophie auswirkt.
Die innerhalb der drei Kapitel chronologisch nach dem jewei-ligen Ersterscheinungsdatum geordneten Aufsätze beginnen mit handlungstheoretischen Überlegungen, zunächst zur Willensschwäche. Im Eröffnungsaufsatz sowie auch etwa in der Auseinandersetzung mit Harry Frankfurt, eigentlich im gesamten ersten und auch zweiten Teil sind die Ausführungen durch den Rückbezug auf die antike Philosophie bestimmt. So gelingt es W., Moralität und Glück zusammenzubringen. Sie zeigt, dass bereits Platon und Aristoteles Begründungen dafür geliefert haben, »dass die Mo­ralität für das Individuum ein notwendiger Bestandteil seines Glücks ist«. Platon habe geschrieben, zu einem guten und glücklichen Leben gehöre eben auch, dass es den anderen gutgehe, denn das Wissen vom Leiden anderer könne uns betroffen machen und unser eigenes Glücksempfinden deutlich mindern. Für Aristoteles sei es wichtig gewesen, »dass die moralischen Tugenden« zur harmonischen Einheit der Person führten. Im Rückgriff auf die antiken Philosophen erhält für W. der Begriff der Eudaimonia zentrale Bedeutung, den eine Person nur für sich in Anspruch nehmen könne, wenn es ihr in jeder Hinsicht gutgehe. So ist es Ziel der in Mannheim lehrenden Philosophin, die antike Philosophie zu aktuali-sieren, da diese eben Handlung, Glück und Moral in einen engen Zusammenhang stelle.
Die Untersuchungen beschränken sich nicht auf die Antike, W. bezieht vielmehr David Hume und Immanuel Kant ein. So stellt sie etwa in ihrem Aufsatz »Aporien in der aristotelischen Konzeption des Beherrschten und des Schlechten« Humes handlungstheoretische Konzeption der Kants gegenüber. Während nach Hume nur sinnliche Antriebe Handlungen in Bewegung setzen könnten und sich die Aufgabe der Vernunft darauf beschränke, »Mittel zur Be­friedigung unserer in der Affektivität und im Wollen vorgegebenen Ziele zu finden«, schreibe Kant der Vernunft eigene Motivationskraft zu. Diese bestehe in der Achtung vor dem moralischen Gesetz und sei nicht in der Erfahrungswelt, sondern in der intelligiblen Welt angesiedelt. W. zeigt nun die Probleme beider Konzeptionen und nutzt Aristoteles als Katalysator in der Mitte.
W. setzt sich mit Harry Frankfurts Wunschmodell auseinander und mit John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie, so dass grundlegende Positionen der Handlungstheorie zur Sprache kommen. Politische Gerechtigkeit, moralische Probleme der Gentechnik und im Zu­sam­menhang mit Letzterem die Frage, ob ein gutes Leben möglich ist, wenn ich meine genetische Disposition für künftige Erkrankungen und die Lebenserwartung kenne, werden im dritten Teil zum Thema.
So, wie Glück und Moral zusammenhängen, spielt die Moral bei praktischen Überlegungen eine wichtige Rolle. Die Frage des Wollens eröffnet nach W. auch einen Spielraum der Wahl verschiedener Möglichkeiten, die immer mit der praktischen Überlegung konfrontiert bleibt, ob es gut ist, so zu handeln. So bleibt selbst der Egoist mit moralischen Forderungen konfrontiert.
Obwohl die meisten Aufsätze der Fachwelt bekannt sein dürften, ist es dennoch verdienstvoll, sie in einer Ausgabe zu sammeln und in thematischem Zusammenhang verfügbar zu machen.