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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

786–788

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Häberl, Charles G., and James F. McGrath [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Mandaean Book of John. Critical Edition, Translation, and Commentary.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. VII, 467 S. Geb. EUR 195,95. ISBN 9783110486513.

Rezensent:

Bogdan Burtea

Das Johannesbuch der Mandäer gehört neben dem Ginza und den sogenannten Mandäischen Liturgien zu den Hauptwerken dieser gnostischen Religionsgemeinschaft. Mehr als 100 Jahre nach der Edition Mark Lidzbarskis (Das Johannesbuch der Mandäer. Text, Einleitung, Übersetzung und Kommentar, Gießen 1905–1915) ist diese Publikation, die dem englischsprachigen Leser Zugang zu diesem besonderen Werk eröffnet, sehr zu begrüßen. Die Edition mit der Übersetzung und dem Kommentar nehmen, wie erwartet, den umfangreichsten Teil der Arbeit (21–448) ein. Sie werden von »Prefatory Remarks« (1–12), einer religionsgeschichtlichen Kontextualisierung des Johannesbuches von April D. DeConick »Introduction: The Gnostic Flip in the Mandaean Book of John« (13–20) und den Schlussfolgerungen von Charles Häberl (444–448) begleitet. Der bibliographische Teil (449–453) sowie die Indizes (Sachen, biblische und apokryphe Literatur, Personen- und Ortsnamen sowie Sprachen, 460–467) runden diese Publikation ab.
Die Edition fußt auf der erwähnten Publikation von Mark Lidzbarski. Zu den sechs Handschriften bzw. Handschriftenfragmenten, die Lidzbarski für seine Edition verwendet hat, haben Charles G. Häberl und James F. McGrath weitere fünf Zeugen ausgewertet. Sie haben nicht nur die Lidzbarskischen Siglen als auch dessen Seitennummerierung und Kapiteleinteilung, sondern auch seine Methode einer eklektischen Edition (4) übernommen. Die älteste Handschrift ist der Codex Sabéen 10 aus der Bibliothèque natio-nale de France, geschrieben von Zehrun bar Ādam in Basra in 1616. Während Lidzbarski den Editionstext sowie den kritischen Apparat eigenhändig in einer schönen mandäischen Schrift niedergeschrieben hat, haben sich die beiden amerikanischen Herausgeber für einen mandäischen Zeichensatz entschieden, der originalgetreu das Lidzbarskische Autograph nachahmt. Das Layout der Edition und der Übersetzung ist benutzerfreundlich spiegelbildlich konzipiert: Auf der linken Seite befindet sich die Edition samt Apparat, während die Übersetzung die rechte Seite einnimmt. Sehr lobenswert ist die Bemühung der Herausgeber, die Struktur des mandäischen Textes wiederzugeben, da das Johannesbuch in Versen verfasst wurde. So werden auf der linken Seite die einzelnen Verseinheiten in zwei Spalten dargestellt, während die Übersetzung auf der rechten Seite die metrische Struktur wiedergibt.
Im Unterschied zu Lidzbarski, der seinen Kommentar in den Fußnoten der Übersetzung unterbringt, folgt der Kommentar der neuen Publikation dem Editions- und Übersetzungsteil (337–443). Er ist entsprechend der Kapiteleinteilung in 76 Einheiten gegliedert.
Auch wenn eine bedeutende Anzahl der Kapitel der Gestalt des Johannes gewidmet ist – der hier nie den Beinamen »der Täufer« trägt –, beschäftigt sich die Mehrheit der Kapitel mit den Uthras (mandäisch ‘utria), den Lichtwesen, die den Äonen oder Emanationen in anderen gnostischen Literaturen entsprechen.
Wichtig sind vor allem die Behauptungen Häberls zur Datierung und zur Stellung des Johannesbuches innerhalb der mandäischen Literatur. Er bezeichnet die These, das Johannesbuch sei als Reaktion auf den Einzug des Islam in Mesopotamien entstanden, für unhaltbar. Für ihn ist dieses Werk ein Kompendium mit älterem Material, das uns den Prozess der Herauskristallisierung der mandäischen Gemeinde als selbständige, von den anderen unterschiedene, religiöse Gemeinschaft zeigt (10). Häberl geht neue Wege, was die Datierung sowie die Stellung des Johannesbuches innerhalb der mandäischen Literatur betrifft. Zum einen bedient er sich der historischen Syntax, um das relative Alter einzelner Kapitel zu bestimmen. Es ist bekannt, dass im Mandäischen, wie auch in anderen gegenwärtigen Varietäten des Aramäischen, das Imperfekt (oder die sogenannte Präfixkonjugation), das zum Ausdrücken des Präsens/Futurs verwendet wurde, nach und nach durch eine partizipiale Konjugation verdrängt wurde. Es gibt im Johannesbuch Kapitel, die die Präfixkonjugation sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen vorweisen, während in anderen Kapiteln die Partizipien die alte Konjugation verdrängt haben. Dazwischen hat Häberl mehrere Stadien festgelegt (5), die den Übergang vom alten Verbalsystem zum neuen dokumentieren. Zum anderen geben die Lehnwörter in der Lexik des Johannesbuches wichtige Hinweise über den Entstehungsprozess dieses Werks. Z. B. findet man im Wortschatz des Johannesbuches einige Lehnwörter aus dem Hebräischen, die eher auf einen direkten Kontakt als auf eine mittelbare Übernahme hinweisen. Überraschend ist auch, dass in diesem Werk viel mehr griechische und lateinische Lehnwörter nachweisbar sind, als es bisher für die mandäische Literatur allgemein angenommen wurde (445). Sowohl der Wortschatz als auch der Inhalt des Johannesbuches verweisen auf mögliche Kontaktpunkte mit Themen und den Originalsprachen des Alten und Neuen Testaments. Erwähnenswert ist auch, dass im Wortschatz des Johannesbuches mit Ausnahme einiger Eigennamen keine Lehnwörter aus dem Arabischen belegt sind.
Eine andere Methode für die Rekonstruktion eines Urtexts wäre die textkritische, und die Herausgeber haben durch die Wieder-gabe der Versstruktur einen wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht. Eine vertiefte Untersuchung des Versmetrums und des Reims in Bezug auf das einzelne Kapitel wird bestimmt neue Hinweise zur Entstehung und Datierung dieses Werkes zutage bringen.
Die Thesen von April D. DeConick (13–20) zur Stellung der Mandäer innerhalb der spätantiken gnostischen Bewegungen sind ebenfalls erwähnenswert. Er bezeichnet das Johannesbuch als eine Kompilation von Narrativen mit dem Ziel, die Mandäer in einer schwierigen Zeit ihrer Geschichte zu unterstützen (13). Nach ihm gehen die Mandäer auf die Nazoräer zurück, eine Gruppe von gnostischen Christen, die das Jordantal in Richtung Mesopotamien verlassen haben. Dort kamen die Taufe praktizierende Nazoräer in Kontakt mit dem Zoroastrismus (14 f.). Aus der Verschmelzung beider Traditionen soll im Laufe der Zeit der Mandäismus als eigenständige Größe entstanden sein, die sich deutlich gegen das Judentum, das Christentum und später den Islam positioniert. Für seine Thesen spricht zum einen die Tatsache, dass der Begriff Nazoräer (mandäisch naṣuraia) die wichtigste Eigenbezeichnung der Mandäer ist. In den ältesten Schichten der mandäischen Literatur, wie z. B. in den sogenannten mandäischen Liturgien, wird fast ausschließlich dieser Terminus benutzt. Zum anderen ist der Kontakt mit dem Iran sehr deutlich zu beobachten, nicht nur an der bedeutenden Anzahl der Termini für mandäische Kultgegenstände, die Lehnwörter aus dem Parthischen sind, sondern auch an den Klientennamen auf den mandäischen Zauberschalen aus Mesopotamien, die iranischen Ursprungs sind.
Den Herausgebern gilt ein uneingeschränkter Dank nicht nur für die vorzügliche Edition eines bedeutenden gnostischen Werks, sondern besonders für die wissenschaftlichen Impulse bezüglich der viel disputierten Frage nach der Entstehung des Mandäismus.