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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

159-160

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schröter, Jens

Titel/Untertitel:

Die apokryphen Evangelien. Jesusüberlieferungen außerhalb der Bibel.

Verlag:

München: Verlag C. H. Beck 2020. 128 S. m. 6 Abb. u. 1 Kt. = C. H. Beck Wissen, 2906. Kart. EUR 9,95. ISBN 9783406750182.

Rezensent:

Zacharias Shoukry

Jens Schröter legt mit dieser kleinen Monographie zu den apokryphen Evangelien ein Überblickswerk vor, dem jahrelange Forschung zum Thema vorangeht, wie sich an zahlreichen Publikationen ablesen lässt, darunter z. B. »Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen« (2010), »Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung – I. Band: Evangelien und Verwandtes« (2012), »The Apocryphal Gospels« (2013) und »Gospels and Gospel Traditions« (2019). Die nun erschienene Einführung fügt sich zudem in eine Reihe anderer Überblicke zum Gegenstand ein (Vielhauer 1975, Klauck 2002, Foster 2008 und 2011, Bockmuehl 2017), wobei S. den aktuellen Forschungsstand in gut verständlicher Sprache auf den Punkt bringt.
Die Hauptthese ist, dass die Entdeckung und Erforschung der Apokryphen keine Antworten auf die Frage nach dem historischen Jesus geben können, sondern diese als Zeugnisse der vielfältigen Wirkungsgeschichte von Jesu Person zu lesen sind. Demnach geht es vor allem um die Frage, welche Beschreibungen Jesu aus den Schriften und Fragmenten gewonnen werden können, die für die Frömmigkeit bedeutsam waren und teilweise noch sind.
Im einleitenden Kapitel wird deutlich, dass der Begriff »Evangelium« dem altkirchlichen Verständnis entsprechend in einem erweiterten Sinn verwendet wird: Gemeint sind nicht nur Schriften, die explizit diesen Titel tragen, sondern alle Texte, »die sich in biographischer Absicht auf die Person Jesu beziehen« (10). Die apokryphen Evangelien sind »›kreative Neuinterpretationen‹ des Wirkens und der Lehre Jesu als Fortschreibung der Evangelien des Neuen Testaments oder als Alternative zu ihnen« (13). Die Schriften sind ihrem Fokus entsprechend in Gruppen eingeteilt, die in den f olgenden Kapiteln der Reihe nach behandelt werden: 1. Geburt und Kindheit, 2. Wirken, 3. Leiden und Tod, 4. Lehren des auferstandenen und lebendigen Jesus und 5. Weitere Evangelien.
Diese thematische Sortierung der Texte leuchtet prinzipiell ein, allerdings sperren sich manche Schriften von sich aus gegen eine Kategorisierung. So befinden sich etwa die Epistula Apostolorum in der Gruppe 4 (Lehren des Auferstandenen), obwohl auch anderes Material über die irdische Wirksamkeit enthalten ist. Diese unvermeidliche Problematik expliziert S. am Beispiel des Thomasevangeliums, bei dessen Rede vom ›lebendigen Jesus‹ »offenbleibt, ob seine Wirksamkeit vor oder nach Kreuz und Auferstehung gemeint ist« (110).
Die Darstellung der Schriften enthält meist die folgenden Aspekte: Es gibt eine zeitliche, örtliche und sprachliche Einordnung sowohl der Entstehung als auch heute erhaltener Überlieferungen. Geläufige Titel der Texte werden genannt und die Na­mensgebungen erklärt. Die zentralen Inhalte werden jeweils skizziert und gegebenenfalls mit kanonischen Texten abgeglichen. Dabei fallen Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Ergänzungen ins Auge, die den Reichtum der Jesustraditionen veranschaulichen.
Es kommen nicht alle außerkanonischen Jesusüberlieferungen in den Blick, sondern es werden die wichtigsten ausgewählt. Gleichzeitig werden Texte behandelt, die man auf den ersten Blick aufgrund des Buchtitels nicht erwarten würde, da sie in Bibelhandschriften vorhanden sind (eine Ergänzung zur Arbeit am Sabbat im Anschluss an Lk 6,4; die Episode über die Ehebrecherin in Joh 7,53–8,11, der wahrscheinlich nachträgliche Evangelienschluss Joh 21, der sekundäre Markusschluss Mk 16,9–20). Es wird eingeräumt, dass es sich dabei streng genommen nicht um apokryphe Texte handelt. Aber die Beispiele zeugen laut S. von Fortschreibungsprozessen sowie von der fließenden Grenze zwischen kanonischem und nicht-kanonischem Material.
Das Buch löst die Versprechen der »C. H. Beck Wissen«-Reihe ein: Es werden konzentrierte Informationen für Leute geboten, die sich anspruchsvoll und knapp einen Überblick verschaffen wollen. Fachbegriffe und lateinische Phrasen werden erklärt, Kenntnisse der ursprünglichen Sprachen der Überlieferungen werden nicht vorausgesetzt, sondern es werden höchstens bestimmte griechische Wörter in Umschrift angegeben. Bilder von Manuskripten, graphische Um­setzungen von Jesustraditionen sowie eine Karte mit den entscheidenden Fundorten Ägyptens lockern die Seiten optisch auf. Der Lesefluss wird nicht durch Fußnoten gestört – eine Auswahl grundlegender Literatur befindet sich im Anhang. Eine Zeittafel vom 1. bis zum 4. Jh. bietet eine Übersicht über die zeitliche Entstehung der Schriften sowie Lebensdaten altkirchlicher Autoren, deren Zitate Rückschlüsse auf Inhalt und Datierung ermöglichen. Das Personen- und Sachregister hilft zur Orientierung über das Vorkommen der wichtigen Namen und Themen. Alles in allem handelt es sich um eine für den knappen Rahmen äußerst informative Einführung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft, der man eine möglichst breite Leserschaft nur wünschen kann. Zum Einstieg in außerbiblische Jesusüberlieferungen ist S.s Buch sehr zu empfehlen.