Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

59–61

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Euler, Walter Andreas [Hg.]

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues – Denken im Dialog.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2019. 248 S. = Philosophie: Forschung und Wissenschaft, 50. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643142702.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Band enthält 14 Aufsätze, die auf einer Tagung, veranstaltet vom Wissenschaftlichen Beirat der Cusanus-Gesellschaft, in Trier 2016 vorgetragen wurden. Da zahlreiche, vor allem spätere, Schriften des Nikolaus von Kues in Dialogform verfasst wurden, legte es sich nahe, diese einmal speziell zu untersuchen – und dies zugleich im Gespräch mit der philosophischen Tradition vor ihm, mit seinen Zeitgenossen und mit modernen Denkern.
David Albertson referierte über »Plötzlichkeit und Schweigen. Nikolaus von Kues im Dialog mit dem christlichen Neuplatonismus«. Nikolaus von Kues »hat seine eigenen theologischen Reflexionen und philosophischen Begriffe in lebenslangem Dialog mit dem Neuplatonismus entwickelt« und glaubte, so der Wahrheit näherzukommen (10). Vor allem Ps.-Dionysius hat ihn dabei beeinflusst. Im Unterschied zum griechischen Neuplatonismus gelangt er in Bezug auf die Frage, ob Gott sich plötzlich manifestiere, in die Nähe zur augustinischen Skepsis gegenüber göttlicher Plötzlichkeit und betont »anstelle des Plötzlichen das Verbleiben« (19.21).
Joa-o Maria André schreibt über »Sehen ist auch Hören und Sprechen: dialogische Dimensionen in De visione Dei«: »Denken war von Anfang an Sehen mit den Augen des Geistes«; Nikolaus von Kues steht in dieser Tradition (28). Er überträgt die Dynamik des Sehens auf das Wort und das Sprechen, so »dass sein eigener Blick, sein Sehen Gottes in ihm das Wort erweckt und ihn in einen dialogischen Prozess verwickelt« (42).
Hubert Benz untersucht »Theorien des Dialogs in Platons Phaidros und bei Nikolaus von Kues«. Bei Platon intendiert der Dialog die Rhetorik und dabei die Dialektik, es geht ihm dabei um Wissensvermittlung, bei Nikolaus von Kues geht es mehr um einen Dialog mit sich selbst – und dies im Gespräch mit den Denkern der Vergangenheit.
Gianluca Cuozzo geht es um »Das Paradox als sprachliche Möglichkeit in der philosophischen Erkenntnistheorie. Von Cusanus zur Postmoderne«: Im Vergleich zu Nikolaus von Kues gelangt die Postmoderne zu »relativistischen Schlüssen«. Bei ihm »er­reicht das mit einem Wort Gemeinte niemals den einfaltenden Ur­sprung eines bestimmten Wesens, das an sich unaussprechlich ist« (62.71).
Albert Dahm beschäftigt sich erneut mit dem Thema »Nikolaus von Kues im Dialog mit den Hussiten«. In seinen Böhmenbriefen tritt der religionsphilosophische Problemhorizont zurück zuguns-ten des theologischen Disputs. Für Nikolaus von Kues ist die Einheit ein so hohes Gut, »dass ihr absolute und unbedingte Priorität zukommt«, eine Abspaltung sei durch nichts zu rechtfertigen (81). Gehe es auch beiden Seiten um das Heil, so rechtfertige doch der hussitische Biblizismus nicht die Trennung von der Kirche. Bei den Hussiten trete Kirche und glaubendes Subjekt auseinander (93).
Claudia D’Amico befasst sich mit »De venatione sapientiae. Die Vertiefung des Dialogs zwischen dem Platonismus und dem Chris­tentum unter Berücksichtigung von neuen Quellen« und kommt dabei zu dem folgendermaßen beschriebenen Ergebnis: »Der Bereich der dauernden Ebenbildlichkeit wird als Möglichkeit für den menschlichen Geist dargestellt. Die Vernunft richtet sich auf diese erkennbare Stelle, wie sie sich Platon und die Platoniker gedacht haben. Daher ist es möglich, den Dialog zwischen dem Platonismus und dem Christentum im Gebiet der Ebenbildlichkeit zu führen.« (108)
Susan Gottlöber sprach über »Cusanus als Vorläufer von Personalismus und dialogischer Philosophie? Das cusanische Denken aus der Sicht des jungen Martin Buber«. Buber sah Nikolaus von Kues als Vorläufer des modernen Personalismus, sah ihn aber zugleich tief verwurzelt in der Tradition.
Norbert Herold referierte über »Commercium sermonis quod rerum omnium est primum. Der cusanische Dialog im Kontext des zeitgenössischen Humanismus« und meint, für Nikolaus von Kues sei der Dialog »kein Wert an sich« und konstituiere nicht die Wahrheit, allenfalls könne man sich durch den Dialog nur der Wahrheit nähern (144).
Doch Jean-Marie Nicolles Thema kommt in seinem Beitrag: »Is the dialogue useful for doing mathematical demonstrations?« zu dem Ergebnis, »the dialogue is essential to find a demonstration, but not top outline it to somebody« (154).
Hervé Pasqua thematisierte »De pace fidei. Ein performativer Dialog«. Der Dialog von 17 Vertretern verschiedener Religionen soll dahin führen, dass sie »dem Einen Gott dienen« – bei aller Verschiedenheit ihrer Riten. Der intellectus könne einen, was die ratio trennt (158.155). Dabei ist für Nikolaus von Kues das Christentum die vera religio, nicht eine neben anderen (161), sie ist fides orthodoxa (Opera omnia, h VII, n. 8). Die Wahrheitsliebe könne auch »die Muslime zum wahren Glauben führen« (163).
Viki Ranff fragt: »Ein christlicher Sokrates? Dialogische Selbstverteidigung in der Apologia doctae ignorantiae des Nikolaus von Kues« und stellt fest, dass er bewusst den platonischen Titel wählt, um sich bei den Lesern als christlicher Sokrates einzuführen; wie Sokrates verteidigt er dabei die »philosophische Existenz« (167). Während Nikolaus von Kues wisse, wie wenig er wisse, wisse sein Gegner Wenck nicht, dass er nichts wisse (182).
Felix Resch untersucht: »Der dialogische Charakter der Sermones des Nikolaus von Kues«. Nur wenn sie ekklesiologisch verstanden werden, sind sie dialogisch zu begreifen als »christologisch fundierte(r) Dialog zwischen Christus und Kirche« in mystagogischer Ausrichtung, um jeden Gläubigen zu einem christusförmigen Leben zu führen (187.189.197).
Nach Cecilia Rusconi geht es Nikolaus von Kues darum, »Die natürlichen Krümmungen […] gerade zu richten. De ludo globi I: Ein Dialog zwischen Mensch und Natur«. Sie sieht das Spiel als Dialog. Nikolaus von Kues wolle zeigen, dass die Fähigkeit der »vis inventiva, die Kraft, sich in der Sinneswahrnehmung zum Gleichnis der wahrnehmbaren Dinge zu machen«, die Freiheit ermöglicht, »die ihn von der körperlichen Natur unterscheidet« (204 f.).
Thomas Woelki behandelt erneut das Thema »Cusanus im Dialog mit den Mönchen vom Tegernsee. Kommunikative Strategien und Akzeptanzressourcen«. Es geht ihm dabei weniger um dessen theologischen Gehalt (Mystik), an dem die Mönche besonderes Interesse hatten, sondern um Formfragen wie Anreden, Ausfertigung der Schreiben, aber auch darum, dass Nikolaus von Kues Unterstützung bei seinen Visitationen erwartete. Er schrieb sich recht unverblümt »die frustrierende Last seines Bischofsamtes von der Seele« (214).
Insgesamt erhält der Leser einen umfangreichen Einblick in die Art, wie Nikolaus von Kues auf dialogische Weise sein Denken darlegt. Die Beiträge weisen nicht nur Unterschiede auf, sondern enthalten auch Widersprüche. Daher ist es sehr zu bedauern, dass – anders als bei früheren Veröffentlichungen der Trierer Symposien – deren Diskussion im Teilnehmerkreis nicht abgedruckt ist. Auch vermisst man sehr, dass die vier Idiota-Dialoge nicht thematisiert wurden. Hier hätte sich gezeigt, dass Nikolaus von Kues eben nicht nur mit den Intellektuellen seiner Zeit ins Gespräch kommen wollte, sondern dass er sogar »Laien« zutraut, die Wahrheit auf der Straße zu finden und das wahre Wissen der Weisheit dieser Welt entgegenzuhalten.
Register sind nicht beigegeben.