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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

938–940

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Prosinger, Franz

Titel/Untertitel:

Das eingepflanzte Wort der Wahrheit. Struktur und Grundgedanke des Jakobusbriefes.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2019. 287 S. = Stuttgarter Bibelstudien, 243. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-460-03434-1.

Rezensent:

Andreas Pflock

Franz Prosinger, Studium der Philosophie, Theologie und Indologie, ist Mitglied der Priesterbruderschaft St. Petrus, arbeitet seit 2001 in Peru, wo er biblische Exegese und Sprachen unterrichtet, und präsentiert im Band seine Studien zum Jakobusbrief, die auf den Nachweis von dessen kompositorischer Kohärenz zielen.
Bisherige monographische Publikationen P.s konzentrierten sich auf das Bundesblut im Markusevangelium (2007) und biblische Betrachtungen zur Soteriologie (2009). Im Aufsatzformat, z. B. 2016 zur Struktur des Johannesprologs u. a., hat P. bereits auch einzelne Jak-Studien vorgelegt, die er in diesem Band monographisch ausarbeitet. Die Erschließung des Briefes als kohärente Makrostruktur steht der Einschätzung von Forschern wie Harnack, Di-belius, Mußner, Childs u. a. entgegen, die von einer fehlenden Dis-position des Textes ausgingen. Gegenpositionen dazu, die eine Ge­samtkomposition des Jak plausibilisieren, werden von P. im forschungsgeschichtlichen ersten Teil seiner Arbeit analysiert (13–40):
So bezweifelt er die wirkungsgeschichtlich signifikanten Positionen o. g. Forscher zur (fehlenden) Gesamtstruktur des Jak aus textlinguistischen Überzeugungen heraus, wozu er u. a. auf den Kommentar von Frankemölle (1994) rekurrieren kann (13–15). Die vorrangig englischsprachigen Publikationen zur Jak-Briefstruktur zwischen Mitte des 19. bis Beginn des 21. Jh.s, wie sie Taylor (2004) zusammenfasst, fungieren für P. in ihrer exemplarischen Evaluierung einerseits als forschungsgeschichtlicher Überblick, anderer seits als Horizont zur Profilierung des eigenen Gegenentwurfs: Sein konsequentes Verständnis des Textes von den zwei Geburten in Jak 1,14–15.17–18 her lässt ihn bereits früh vorwegnehmen, dass »die Exposition der beiden Geburten Grundlage der gesamten Ausführungen [ist]« (35). Im Fokus stehen für ihn »ein vertieftes Verständnis der Motivation und Argumentation P.s und die Frage, ob seine Ausführungen konsequent aus einer Themenankündigung in 1,12 hervorgehen und in einer Konklusion in 5,11 ihren Ab­schluss finden« (97).
Dem forschungsgeschichtlichen Überblick entnimmt P. angesichts der vielen Bezüge innerhalb des Briefes die Legitimation, »einer Grundstruktur nach dem rhetorischen Modell nachzugehen« (39). Wenngleich er basierend auf den Forschungsergebnissen zur antiken Epistolographie die mangelnde Einheitlichkeit von Briefgliederungen vermerkt (vgl. 18), erweist sich dennoch die Orientierung am rhetorischen Modell als leitende Prämisse der Arbeit. Diese Prämisse tritt zentral im ersten Zwischenfazit zutage, in welchem P. sich positioniert: »Die Tatsache aber, dass der Rede, die ganz offensichtlich in 5,11 ihren feierlichen Abschluss findet, noch zwei konkrete Anliegen angefügt sind, erklärt sich doch am besten dadurch, dass sie tatsächlich als Rundbrief versandt werden sollte, dem ein postscriptum angefügt ist. Was da aber als Brief versandt wird, ist von 1,2 bis 5,11 zweifellos ein Diskurs, eine Rede nach den Regeln der Rhetorik […]« (95).
Diesem Zwischenfazit (94–96) gehen ein kurzes Vorwort (11 f.), der Überblick zur Forschungsgeschichte (13–40) und ein erster Textdurchgang P.s voraus (41–93). In diesem Durchgang setzt er antike Erstrezipienten mit »Freude an einer wohlgesetzten Rede« (40) gemäß den »bekannten Regeln antiker Rhetorik« (ebd.) voraus, von welchen auch sein Überblick zur Briefstruktur zeugt (vgl. 94): Seinem Konzept zufolge rahmen Präskript (Jak 1,1) und Postskript (5,12–20) die vier rhetorischen Hauptteile von exordium (1,2–12); expositio (1,13–18); exhortatio (4,1–5,6) und peroratio (5,7–11). In 1,19–27 und 2,14–3,18 sieht er zwei applicationes, die er jeweils der dreigliedrigen programmatischen Themensetzung in 1,19 zuordnet und 2,1–13 als ein exemplum klassifiziert. Wichtig ist ihm dabei der Aufweis der Kohärenz des Textes (vgl. 12.265), die er zusammen mit dem theologischen Tiefgang des Jak gegenüber den Negativurteilen von Luther und Dibelius verteidigt: »Der vorliegende Text ist wohl durchdacht, klar strukturiert und ein eindrucksvolles Zeugnis neutestamentlicher Anthropo- und Theologie.« (96)
In seinem – keineswegs alternativlosen, aber diskussionswürdigen – Gliederungsvorschlag endet »der eigentliche Text« mit Jak 5,11 (so 212; vgl. 12.93). Auch deshalb ist nachvollziehbar, dass nach P. die Interpretation sowie die Übersetzung »des télos kyríou in 5,11 als HERRENvollendung« (256) als der »wunde Punkt« (ebd.) seiner Position gelten können. Nichtsdestotrotz argumentiert er zum Ende seines umfangreichsten Kapitels (97–264), das den im vorherigen Kapitel herausgearbeiteten zentralen Gedankengang weiter plausibilisieren und so das Textverständnis vertiefen soll (vgl. 97), für diese Position (vgl. 256–258), welche jedoch gerade aus textlinguistischer Perspektive kritisch anzufragen wäre. Die Arbeit endet mit Nachwort (265 f.), Arbeitsübersetzung (267–277), in der bedauerlicherweise der programmatische Vers Jak 1,19 fehlt, knappem Literaturverzeichnis (277 f.), einem Index der zitierten Bibelstellen (279–285) sowie einem Glossar mit literaturwissenschaftlichen Fachworten und Stichworten des Jak (286 f.)
Für eine Monographie zur Jak-Kompositionsstruktur unerwartet, jedoch für P. als legitimer Hinweis »auf den philosophischen Hintergrund der Argumentation« (12), erscheinen diverse Exkurse über alt- und neutestamentliche Texte hinaus, worin der o. g. an­thropologische sowie theologische Tiefgang des Jak dokumentiert werden soll. Dennoch wird zu fragen sein, inwiefern z. B. Ausführungen zur Selbstfindung nach Bonelli (vgl. 109, Anm. 16) oder mehrfache Verweise auf Meditationen über die Psalmen von Spaemann (vgl. 103.122.191.206.218.230.260 u. ö.) im Rahmen eines Beitrags zur Kompositionsstruktur und Auslegung des Jak förderlich sind.
Daneben finden sich weitere Auffälligkeiten etwa im orthographischen Bereich, fehlende Referenzen (vgl. 151.167 f.171.185.202 u. ö.), die ungewöhnliche Form des Index mit Verweis auf Kapitel- statt Seitenzahlen sowie die Jak-Literaturliste, die zwar wichtige Kommentare sowie viele Publikationen zur Gliederung des Briefes heranzieht; gerade aber für die Begründung der Leitprämisse hätte auf wichtige Grundlagenforschung zurückgegriffen werden können. So ist diese Prämisse nämlich – nicht nur in der Paulusforschung (vgl. Porter/Dyer [Eds.], Paul and Ancient Rhetoric [2016]) – umstritten bzw. müsste als legitime Prämisse entsprechend ge­stützt werden, vor allem nach dem Beitrag von D. F. Watson, As­sessment of the Rhetoric and Rhetorical Analysis of the Letter of James (2007, 99–120): »Attempts to outline the epistle from exordium to peroratio are unconvincing.« (120)
Am Ende bleibt neben vielen intertextuell ungeklärten Rekursen auf neutestamentliche (z. B. 16.28.64 u. v. m. zu Hebr) oder andere Schriften, auch von P. schon im Vorwort angekündigten Redundanzen (vgl. 12) sowie obigen Kritikpunkten zu würdigen, dass P. einen wichtigen Beitrag für die Diskussion der Jak-Komposition vorlegt und damit den Diskurs gerade zu diesem Thema fördert (vgl. z. B. Porter, Cohesion in James [2019]). In der Überwindung von konfessionellen Vorurteilen zum Jak und der Hervorhebung der theologischen Güte dieses Textes, z. B. durch seine Ausführungen zu Glauben und Werken (vgl. 154–166), kann er sich dabei in einen breiten Konsens der New Perspective on James einreihen und zeigt zudem existenzphilosophische Anknüpfungspunkte auf, die seine Arbeit in interdisziplinärer Hinsicht interessant machen.