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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1055–1056

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Grümme, Bernhard

Titel/Untertitel:

Heterogenität in der Religionspädagogik. Grundlagen und konkrete Bausteine.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2017. 408 S. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-451-37725-9.

Rezensent:

Patrick Grasser/Ilona Nord

In diesem Buch bearbeitet der katholische Religionspädagoge Bernhard Grümme das komplexe Themenfeld einer heterogenitätssensiblen Religionspädagogik. Nach einer Einführung widmet er sich im ersten Teil »Land in Sicht? Heterogenität als verheißungsvolle Kategorie« (25–102) einer intensiven semantischen Analyse des Heterogenitätsbegriffs, den er mit den Alternativbegriffen Differenz, Pluralität, Diversität und Intersektionalität in Beziehung setzt. Dabei kommt G. zu dem Schluss, dass der Heterogenitätsbegriff den anderen von ihm untersuchten Begriffen überlegen ist (vgl. 96–97).
Die Zielperspektive des Beitrags ist es, ein Konzept einer aufgeklärten Heterogenität zu entwickeln, das im zweiten Teil seines Buches »Schwierig zu denken« (105–168) alteritätstheoretisch fundiert wird. Im umfangreichen dritten Teil »Heterogene Blicke. Bausteine einer heterogenitätsfähigen Religionspädagogik« (171–359) fokussiert G. die Differenzkategorien interreligiöse Bildung, Inklusion, Bildungsgerechtigkeit, Geschlecht und Pluralisierung/Säkularisierung von Religion. Bereits im einleitenden Teil seiner Untersuchung hatte G. genau diese Differenzkategorien in ihrer Bedeutung für die Religionspädagogik dargestellt. Sie wird im Kontext einer pluralitätsfähigen öffentlichen Religionspädagogik der Postmoderne profiliert (25–37). Die Fokussierung dieser Kategorien erscheint mit Blick auf die Diskussionen um Theorie und Praxis heterogenitätsfähiger Religionspädagogik nachvollziehbar und hilfreich, warum sie für eine wissenschaftliche Religionspädagogik unverzichtbar ist, wird leider nicht weiter entfaltet.
Kennzeichnend für G.s Entwurf ist also die kritische Auseinandersetzung mit dem Heterogenitätsbegriff, der für G. nicht ohne Homogenität denkbar ist. Heterogenität und Homogenität werden als zwei Pole eines Spannungsverhältnisses gesehen (vgl. 65). Um sie auch historisch angemessen in den Blick nehmen zu können, setzt G. sich auch mit der Dialektik von »Gleichheit und Differenz« (ebd.) auseinander. Sie ist im pädagogischen Kontext bereits seit den 1990er Jahren vor allem durch und ausgehend von Annedore Prengels »Pädagogik der Vielfalt« bearbeitet worden. G.s Dars tellung und Diskussion von Prengels Konzept fällt allerdings äußerst knapp aus und lässt wichtige Aspekte unberücksichtigt, die von anderen Autoren und Autorinnen in der jüngeren Vergangenheit als Bezugspunkte für eine inklusive bzw. heterogenitätsfähige Religionspädagogik aufgegriffen wurden (vgl. u. a. Schweiker 2017; Möller/Pithan/Schöll/Bücker 2018).
Der Ansatz einer aufgeklärten Heterogenität wird in Anknüpfung an die Beiträge der Pädagogin Katharina Walgenbach ent-wickelt, die ebenfalls alteritätstheoretisch und »in kritischer Weiterentwicklung des Intersektionalitätstheorem [sic!]« (173) argumentiert, weil so die Interdependenzen unter den einzelnen Differenzkategorien berücksichtigt und bearbeitet werden können. Auch G. intendiert die kritische Reflexion unterschiedlicher Differenzkategorien und ihrer Wechselwirkungen, Verschränkungen und gegenseitigen Verstärkungen in alteritätstheoretischer Perspektive. Drei »hermeneutisch-analytische Leitkategorien« werden von ihm im Sinne der Profilierung einer heterogenitätsfähigen Religionspädagogik genannt: »1. Interdependenz von Differenz und Gleichheit; 2. Dialektik der Vernunft von Partikularität und Universalität; 3. Kontextsensible kritische Selbstreflexivität« (vgl. 171). Diese Kategorien dienen G. als kritisch-reflexives Analyse-instrument, mit dem er die von ihm fokussierten fünf Differenz-kategorien als »Bausteine einer heterogenitätssensiblen Religionspädagogik« (169) bearbeitet: Interreligiöse Bildung, Inklusion, Bildungsgerechtigkeit, Geschlecht und Pluralisierung/Säkularisierung.
Nacheinander analysiert G. in seinem Hauptteil die fünf eben genannten Differenzkategorien und diskutiert aktuelle wissenschaftliche Positionen zu den einzelnen Feldern, bevor er jeweils Überlegungen in der Perspektive einer aufgeklärten Heterogeni-tät anstellt. Theoretische Reflexionen und Analysen bezieht G. im­mer wieder auf religionspädagogische Praxiskontexte und unterstreicht damit die Relevanz seiner Ausarbeitung. Als zentral er-achtet G. dabei auch die religionspädagogische Bearbeitung von In­klusion, die er im Kontext seiner Konzeption als »Ernstfall der He­terogenität« (206) betrachtet. In seinen Ausführungen stützt sich G. auf ein behinderungsbezogenes Inklusionsverständnis, womit er allerdings hinter der gegenwärtigen religionspädagogischen und kulturwissenschaftlichen Bearbeitung von Inklusion zurückbleibt, für die ein weiter Inklusionsbegriff leitend ist, der ausgehend von den Impulsen der UN-Behindertenrechtskonvention auch andere Differenzkategorien einschließt. Ein solches zu wählen, wäre auch aus der Logik seines eigenen Ansatzes naheliegend gewesen, denn hier werden Interdependenzen unter den Differenzkategorien ja ebenfalls intensiv reflektiert. Die Untersuchung kommt zu dem unterstützenswerten Schluss, dass aufgeklärte Heterogenität »eine der zentralen Querschnittsaufgaben der Religionspädagogik« (359) ist.
Schon lange kursieren die großen Tankerbegriffe Heterogenität, Diversität und Inklusion innerhalb der Religionspädagogik, ohne dass konzentriert Klärungen zu ihren theoretischen Kontexten und praktischen Realisierungsmustern für das Fach vorgenommen worden wären. Eine Orientierung darüber, welche Leistungen welcher Begriff in den verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen bietet, stand ebenfalls aus. Mit diesem Band ist hierzu ein wichtiger Beitrag geleistet worden. Darüber hinaus eröffnet G. auf theoretisch nachvollziehbare und dabei zugleich praxisbezogene Weise einen Reflexionskorridor dafür, Heterogenität zum Leitbegriff der Religionspädagogik zu machen.