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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

499–501

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Poncelet, Christian

Titel/Untertitel:

Dreifacher Gebrauch der Vernunft. Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Gottlieb Söhngen.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2017. 296 S. = Ratzinger-Studien, 12. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2921-3.

Rezensent:

Klaus E. Müller

Wer sich mit dem Denken Joseph Ratzingers/Papst Benedikts XVI. beschäftigt, stößt über kurz oder lang auf den Namen seines wichtigsten Lehrers, Doktor- und Habil.-Vaters Gottlieb Söhngen. Vermutlich würde sich heute ohne diesen seinen zu exorbitanter Prominenz gelangten Schüler kaum mehr jemand für Söhngen interessieren. Alles Wichtige über dessen theologisches Profil ist eigentlich längst gesagt, zumal durch die Arbeit Gottlieb Söhngens (1892–1971) Suche nach der »Einheit in der Theologie« von Josef Graf (Frankfurt a. M. u. a. 1991), der die vorliegende Studie Wesentliches verdankt. Auf den letzten Seiten seiner Abhandlung räumt Christian Poncelet unumwunden ein, was auch Graf schon mehr oder weniger konsterniert zu Protokoll gegeben hatte: dass Söhngens Denken nur sehr schwer zu einer systematischen Darstellung gebracht werden kann, weil bei ihm so vieles im Modus der Anspielung und Skizze bleibt (242–243), in der nahezu poetisch gelungene Formeln und Formulierungen das ungedacht Bleibende des theologisch in Frage Stehenden elegant überspielen (dass diese Strategie auch in Texten des großen Meisterschülers begegnet, sei hier nebenher bemerkt).
Das Innovative der vorliegenden Studie besteht darin, dass P. Ratzingers Leib- und Magenthema – das Verhältnis von Philosophie und Theologie, durchgehalten von dessen Bonner Antrittsvorlesung 1959 bis zur Antrittsenzyklika Deus caritas est von 2006 –, sozusagen auf Söhngen zurückspiegelt und dort die Spuren dieser Thematik zu rekonstruieren sucht. Weil das aufgrund der bereits geschilderten Quellenlage alles andere als einfach ist, greift P. das ein einziges Mal von Söhngen erwähnte Theorem eines »triplex usus philosophiae« (30), das dieser nie irgendwo näher ausgeführt hat, auf, um es zum Gliederungsschema seiner ganzen Studie zu machen. Diese Triplex-Idee scheint aus einer innerprotestantischen Kontroverse um Gesetz und Evangelium zu stammen (32), der Versuch, sie über Ratzinger auf Bonaventura zurückzuführen und auf diese Weise sozusagen zu katholisieren, nimmt sich wenig überzeugend aus (31 f.).
Jedenfalls prägt ein solcher Dreischritt den substantiellen Teil der Studie. Nach Klärungen zum philosophie- und theologiehistorischen Hintergrund Söhngens, die diesen als einen zeitsensiblen, für säkulare Philosophien offenen und keineswegs neoscholastisch verbunkerten Denker porträtiert (38–64), folgt der bereits avisierte Dreischritt.
»Beim ersten der drei usus handelt es sich um ›das Philosophieren um der Philosophie willen‹.« (64) Primär in Auseinandersetzung mit Nicolai Hartmann arbeitet sich Söhngen hier am Verhältnis von Sein und Erkennen ab. Dabei gelingen ihm luzide Analysen, die um das Idealismus-Realismus-Syndrom kreisen und versuchen, eine idealistische Intuition in seinen katholisch-realis-tischen Grundansatz einzuholen (was ihm – nebenbei gesagt – besser gelingt als seinem Schüler Ratzinger, der später auch an dieser Frage laboriert, vor allem in seiner Einführung ins Christentum, drittes Kapitel). Den »idealistischen Akzent« (112) seines Denkens bringt Söhngen auf die schöne Formel: »›Unser Geist ist ein Funke, ein Fünklein aus Gottes Sonnenlicht. Der Funke fasst die Sonne nicht ganz, sondern nur zum kleinsten Teile; so bleibt ein unendlicher superrationaler, überbegrifflicher Rest‹« (113) – man muss Söhngen neben Ratzinger und Pannenberg zu den bekennenden christlichen Platonikern zählen.
So luzide P. mit Söhngen das Verhältnis von Philosophie und Theologie im usus philosophicus entfaltet, so schwierig wird das im zweiten Schritt, dem usus theologicus. Dieser hat seinen Dreh- und Angelpunkt im Begriff der Analogie (123). Genau da aber entgleitet Söhngen ein wirklich systematischer Zugriff, weil er sich – in bester ökumenischer Absicht – mit Blick auf Karl Barth in die vertrackten Verhältnisse von analogia entis und analogia fidei verstrickt (122–189). Alle Analogievarianten, die da durchgespielt werden und in der Formel von der analogia entis in analogia fidei (136) aufgipfeln, führen zu keinem klaren Zielgedanken. Selbst das Faktum, dass Söhngen, für seine Zeit sehr modern, die Analogieproblematik nicht primär als ontologische, sondern als sprachphilosophische Herausforderung auffasst, führt nicht weiter. Es bleibt bei mehr oder weniger stereotypen Formeln, wie »dass ›das Metaphysische im Metaphorischen und […] das Metaphorische im Metaphysischen‹ enthalten sei.« (173) Und dann noch Christus selbst als »unsere analogia fidei, die die analogia entis aufnimmt und heilt« (171) zu bezeichnen, macht jegliche philosophische Verständigung unmöglich. Deshalb trudelt Söhngen ab diesem Punkt in eine Zirkularität von Philosophie und Theologie, die keiner der beiden Seiten mehr zum Guten gedeiht.
Noch schwieriger nimmt sich das im dritten Schritt aus, der für einen usus cosmicus im Verhältnis von Philosophie und Theologie aufkommen soll. »Zusammenfassend könnte man Söhngens Be­griff des usus cosmicus als Einheit von weltanschaulichem Denken und weltgestaltendem Handeln beschreiben.« (191) Aber was heißt das genau? P. sucht den usus cosmicus »als lebensweltliche Übersetzung der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie« (227) zu fassen. Das leuchtet ein. Aber einfach ist das nicht. Denn dafür muss man den usus cosmicus »als Einheit von weltanschaulichem Denken und weltgestaltendem Handeln beschreiben« (191). Genau das aber leistet P. nicht, stattdessen flüchtet er sich in eine Kreuzes- und Gnadentheologie, die er schließlich in einem ekklesiologischen Fangnetz zur Ruhe bringt (227–230). Mit Philosophie hat das wahrlich nichts mehr zu tun. Als Beitrag zum heißen Thema Vernunft und Glaube leisten damit weder Söhngen noch sein Adlatus P. einen weiterführenden Beitrag.
Whitehead schrieb einmal über Platon, er sei gewiss der größte Metaphysiker, aber auch der schwächste Systematiker gewesen. Heruntergebrochen auf das ungleich kleinere Format Söhngens könnte man Vergleichbares sagen. Weit ausgreifende Intuitionen, die sich bei ihm ohne Zweifel finden, konnte er nie zu einer systematischen Ausarbeitung bringen. P.s Arbeit spiegelt dieses Dilemma eins zu eins. Diese Fragmentarität dann am Ende sogar als »vorbildhaft« (243) anzupreisen, weil dies dem Grundcharakter aller Rede von Gott entspräche, ist der Sympathie P.s für Söhngen und Ratzinger geschuldet, der ebendies in seiner Predigt beim Requiem für Söhngen 1971 als wertzuschätzendes Charakteristikum von dessen Theologie hervorhob. Dennoch bleibt, was Söhngen zu Pa­pier brachte, deutlich hinter dem zurück, was man unter gegenwärtigen Bedingungen von einer fundamentalen Theologie erwarten darf. Die Beschäftigung mit Söhngen trägt dazu nichts mehr bei.