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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1047–1048

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Müller, Claudius

Titel/Untertitel:

Den Religionen auf der Spur. Die Welt des Glaubens in 26 Objekten.

Verlag:

Darmstadt: Verlag Philipp von Zabern (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2015. 207 S. m. 27 Abb. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-8053-4555-2.

Rezensent:

Daria Pezzoli-Olgiati

Dieses Buch von Claudius Müller bietet Betrachtungen von 26 Ge­genständen, die religiöse Praktiken und damit verbundene Weltbilder aus unterschiedlichen Kulturen und Zeiten aufzeigen. Es steht damit in einer Forschungstradition, die Kulturen und Religionen aufgrund von Gegenständen rekonstruiert. Neil MacGregors A History of the World in 100 Objects oder Brent Plates A His-tory of Religion in 5 1/2 Objects gehören etwa dazu.
Die ausgezeichneten farbigen Abbildungen in M.s Band und die sorgfältigen Informationen zu den Objekten erlauben es, sich die Materialität und die Bedeutung der Gegenstände in ihren jeweiligen Kontexten vor Augen zu führen. Die Auswahl der Gegenstände stützt eine vergleichende, historische Betrachtung von Religion als grundlegendes Phänomen menschlichen Lebens. Die Analysen be­ziehen sich direkt auf den ausgewählten Gegenstand, stellen ihn anschließend in einen größeren kulturellen und religiösen Kontext, so dass zentrale Themen der Religionsgeschichte behandelt werden. Somit liefert das Buch nicht nur eine Auseinandersetzung mit den ausgewählten Quellen, sondern auch eine fundierte Einsicht in die vielfältige Welt religiöser Praxis und die damit verbundenen Weltanschauungen. Das Buch hebt sowohl die Wichtigkeit des Partikulären als auch die Notwendigkeit einer vergleichenden, generalisierenden Betrachtung in der Erforschung von Religion hervor. Es betont auffällige parallele Konstellationen un­ ter verschiedenen Kulturen und die Vielfalt von Vorstellungen innerhalb einer Tradition. Religionen werden als historisch ge­wachsene, von Kulturkontakt und -austausch geprägten Traditionen präsentiert, die durch eine enorme Variabilität gekennzeichnet sind. Der Band ist in allgemein verständlicher, gepflegter Sprache verfasst und eignet sich auch sehr gut als Grundlage für den Unterricht in Einführungen in die Materialität von Religion.
Aus religionswissenschaftlicher Perspektive hebt die Lektüre dieses Werkes einige zentrale Themen heutiger Forschung hervor, die hier im Sinne einer kritischen Würdigung zusammenfassend dargelegt werden sollen. Die Analyse von Gegenständen erlaubt einen Einblick in den (religiösen) Alltag von Menschen. Sie zeigt auf, wie religiöse Konzepte, Weltbilder und normative Vorstellungen das Leben auf einer grundlegenden Ebene prägen. Dabei verdankt sich die Diffusion bestimmter Inhalte der Performativität von Religion, sie ist im Alltag durch den Gebrauch bestimmter Gegenstände verankert. Diese Art der Betrachtung von Religion ist als komplementär zur Analyse von schriftlichen Quellen oder theologischen Konzepten zu betrachten; sie zeigt eine andere, nicht weniger bedeutsame Seite von Religion auf.
Die Auseinandersetzung mit der materiellen Dimension von Religion zeigt eindeutig auf, dass religiöse Traditionen keine abgeschotteten Systeme in der Kultur sind, sondern im Kontext von Diffusions- und Austauschprozessen entstehen und weiterleben. Adaptionen und Anpassungen gehören grundlegend dazu. Der Austausch zwischen Kulturen ist ein wesentliches Merkmal in Tra­dierungsprozessen.
Gegenstände sind Medien von Religion. Als solche sind sie immer eingebunden in Kommunikationsprozesse, die sich im Laufe der Zeit verändern und sich neuen Bedingungen anpassen. So wissen wir beispielsweise heute kaum mehr etwas über den Hauspfosten aus Kamerun, der im Münchner Museum Fünf Kontinente aufbewahrt wird (198). Dennoch kommt uns dieser Gegenstand vertraut vor, weil diese Art der Figurendarstellung in der europäischen Kunst des be­ginnenden 20. Jh. vielfach rezipiert wurde. Der Diffusionsprozess dieses Gegenstandes führt uns in diesem Fall also von Kulturaustauschen, über die Entstehung von Museumskulturen in Europa und das Wirken von Künstlern wie Pablo Picasso bis zur heutigen wissenschaftlichen Betrachtung, zu der auch der hier besprochene Band gehört. In allen Etappen seiner Reise, die solch ein Objekt während seiner Tradierungen durchlebt, verändern sich seine Rezeptionsbedingungen. Sie bilden immer neue, sich überlagernde Formen der Kommunikation von und über Religion.
Diese Art des Zugangs zu Religion steht in einer nicht auflösbaren Spannung zwischen einer allgemeinen Definition von Religion als Grunderfahrung des Menschen und der Einzigartigkeit jedes einzelnen Objekts, das auf Vielfalt, Variabilität und Unvergleichbarkeit hindeutet. Es ist die Aufgabe der religionsbezogenen Disziplinen, diese Spannung konstruktiv zu gestalten, ohne in die Aporien des Essentialismus oder des totalen Relativismus zu verfallen. Dieses Buch leistet also nicht nur einen Einblick in die Welt der vorgestellten Gegenstände, sondern auch einen Beitrag zu Grundfragen der Erforschung der materiellen religiösen Kultur.