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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

837–839

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Buntfuß, Markus, u. Martin Fritz[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fremde unter einem Dach?Die theologischen Fächerkulturen in enzyklopädischer Perspektive.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. VIII, 223 S. = Theologische Bibliothek Töpelmann, 163. Geb. EUR 69,95. ISBN 978-3-11-031085-6.

Rezensent:

Sabine Schmidtke

Bei dem von den systematischen Theologen Markus Buntfuß sowie Martin Fritz herausgegebenen Band handelt es sich um die Dokumentation einer Tagung, die sich unter dem Motto »zusammen-denken. Die theologischen Fächerkulturen und das Ganze der Theologie« (Vorwort) der Frage nach »der Einheit der Theologie in der Vielfalt ihrer Fächer« (2) unter besonderer Berücksichtigung des en­zyklopädischen Entwurfs in Schleiermachers ›Kurzer Darstellung des theologischen Studiums‹ gewidmet hat.
Nach einer Einleitung (1–22), in der die Herausgeber die epochale Bedeutung sowie Aktualität der ›Kurzen Darstellung‹ und die Dringlichkeit enzyklopädischer Klärung hervorheben, werden in sieben Beiträgen Altes (23–41) und Neues (43–67) Testament, Kirchengeschichte (69–93), Dogmatik (95–113), Ethik (115–125, erg. z. d. Tagungsbeiträgen), Interkulturelle (127–147) sowie Praktische Theologie (149–165) »im Kreis der theologischen Fächer« (23) verortet und Einblicke in die jeweilige Fächerkultur gewährt.
Systematisch- und praktisch-theologisch orientieren sich die Beiträge stark an Schleiermacher. Gegenüber einer einseitigen Betonung des Praxisbezugs in dessen Theologiebegriff hält C. Axt-Piscalar fest, dass für dessen integratives Potential ebenso der inhaltliche Aspekt berücksichtigt werden müsse, der mit der Arbeit aller theologischen Disziplinen an der Wesensbestimmung verbunden sei. Die spezifische Aufgabe der Dogmatik liege »in einer gegenwartsverantworteten Transformation der christlichen Lehre auf der Grundlage der Wesensbestimmung« (112). Die theologische Aufgabe der Rekonstruktion der Geschichte sowie der Gestaltung künftiger Entwicklung der konstitutiven Elemente des Christentums – Theologie, kirchliche Lehre, Sozialgestalt – habe an Aktualität nichts eingebüßt, wenn auch der Wesensbegriff selbst umstritten sei.
Auch für die Praktische Theologie gelte, dass »die Ansprüche, die Schleiermacher formuliert [hat], bis heute unhintergehbar sind.« (150) C. Albrecht legt dar, inwiefern die Praktische Theologie im Spannungsfeld zwischen kirchlicher Praxis und den anderen theologischen Disziplinen Gefahr laufe, entweder der Wissenschaftlichkeit oder der Eigenständigkeit zu entbehren. Als »berufsführungsspezifische Perspektivierung der theologischen Gesamtreflexion« müsse sie deren Erwägungen zwar voraussetzen, sie aber so »umbildend in Anspruch« nehmen und »in ihre eigenen Fragestellungen« einordnen, dass sie stellvertretend eine Aufgabe wahrnehme, die der Theologie als Ganzer »aufgegeben« (160) sei.
Schließlich findet auch A. Nehring bei Schleiermacher für »ge­genwärtige Diskurse zu Interkultureller Theologie Anknüpfungspunkte« (127), insbesondere im Theologiebegriff, der implizit jede Theologie als kontextuelle bestimme und so in einer »deutliche[n] Nähe zu theologischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts« (133) stehe. Zur Frage der enzyklopädischen Verortung hält Nehring fest: Während sich Religionswissenschaft primär kulturwissenschaftlich begreife, sei die Interkulturelle Theologie eine genuin theologische Aufgabe, die sich im kulturwissenschaftlichen Diskurs zwar bewähre, die aber »der Fundamentaltheologie« bedürfe, »will sie der ständigen Gefahr entgegenwirken, in eine allgemeine Vernunft­religion oder ein universales ethisches Programm zu mutieren.« (141)
Dieser »bleibende[] Orientierungswert« (13) der ›Kurzen Darstellung‹ wird von neutestamentlicher und kirchengeschichtlicher Seite negiert: Aufgrund ihres »identitätsontologischen Ursprungsdenkens« (49) sei jene »so voller Probleme […], dass sie nicht taugt, die gegenwärtigen enzyklopädischen Probleme des Faches Evangelische Theologie zu bearbeiten« (48), und ihre »Bestimmung der Aufgabe kirchenhistorischen Forschens« bleibe »für das 21. Jahrhundert unpraktikabel« (69). Lediglich der Praxisbezug des Schleiermacher’schen Theologieverständnisses wird von S. Alkier positiv rezipiert: Neutestamentliche Forschung als »Wissenschaft von der Produktion und Rezeption frühchristlicher Zeichenzusammenhänge« (58) unterscheide sich von ihren nicht-theologischen Partnerwissenschaften dadurch, dass sie einen positionellen Beitrag zu einer bestimmten religiösen Kommunikationspraxis leisten wolle.
Dass die ›profanen‹ Wissenschaften für die eigene Disziplin hö­here Bedeutung haben können als die theologischen Paralleldisziplinen, führt auch der Beitrag von V. Leppin deutlich vor Augen: Indem er die kirchenhistorische Forschung »zwischen der Theologie und Geschichtswissenschaft« (75) verortet, rückt er sie aus dem »Kreis der theologischen Fächer« (69) heraus. Aus einem »heuristischen Grund« heraus könne der Kirchengeschichte ein »theologische[r] Charakter« (77) zugeschrieben werden, jedoch hängt diese Zuschreibung an der tatsächlichen Existenz des postulierten ge­samttheologischen Diskurses, die angesichts der ebenfalls konstatierten »Gefahr fachlicher Spezialisierung und übertriebener Ausdifferenzierung in Fachdiskurse« (71) ja gerade fraglich ist.
Angesichts dieser Abwendung vom Schleiermacher’schen Konzept überrascht es nahezu, dass J. van Oorschot als Vertreter der alttestamentlichen Forschung zumindest partiell den Anschluss an dieses sucht, obwohl bekanntermaßen dort die alttestamentlichen Schriften zu einem Verständnishilfsmittel degradiert werden (vgl. KD2 § 141). Van Oorschot konstatiert zwar eine »dogmatische Verzeichnung des frühen Judentums und mit ihm des Alten Testaments« (29 f.), positioniert sich aber auf originelle Weise »[z]ur Kanonfrage: Mit Schleiermacher gegen Schleiermacher!« (31). Wenn der Kanon prinzipiell unabgeschlossen sei und die Frage der Kanonizität von Schriften sich auch an deren faktischer Rezeption entscheide, so gehörten die Schriften des Alten Testaments unzweifelhaft auch wesentlich zum christlichen Glauben.
Die Einzelbeiträge sind durchgängig lesenswert und bieten Klärungsansätze hinsichtlich der Theologizität der jeweiligen Disziplin. Jedoch wird die enzyklopädische Frage, was »Theologie« sei bzw. worin die Einheit in der Vielfalt bestehe, gewissermaßen als geklärte vorausgesetzt, wenn von einem »Ganze[n] der Theologie« (41), der Theologie als »theoretische[r] Reflexion der religiösen Kommunikation in Kirche, Schule und Gesellschaft« (60), der Vorstellung eines die Fächer integrierenden »theologischen Dis­kur­s[es]« (77) gesprochen wird, als gebe es diese transdisziplinäre Einheit. Auch wenn Leppin darin zuzustimmen ist, dass eine theolo-gische Enzyklopädie »nur von den Fächern aus« (72) entworfen werden kann, so lassen die Differenzen im jeweiligen Theologieverständnis das enzyklopädische Interesse an einer »Theorie der Theologie« (4) unbefriedigt.
Als Versuch einer »Moderation unterschiedlicher theologischer Gesamtperspektiven« (22) kann man den durch die Tagung angeregten Beitrag von M. Fritz verstehen. Anhand der Rekonstruktion der der ›Kurzen Darstellung‹ inhärierenden Idee theologischer Bildung sollen die mit dem Wesensbegriff verbundenen Schwierigkeiten vermieden und zugleich die Aktualität dieser Konzeption doch noch ab­schließend aufgewiesen werden. Ob diese Interpretation der »Theo-logietheorie« durch eine ihr zugrundeliegende »Theologentheorie« (171) die oben zitierte Skepsis gegenüber der Tauglichkeit der ›Kurzen Darstellung‹ zu beschwichtigen vermag, bleibt fraglich.
Dass das »enzyklopädische Büro« nicht geschlossen werden darf, wird zu Recht von den Herausgebern festgehalten. Die Konsequenz wäre nicht nur eine zunehmende »innertheologische Entfrem-dung zwischen den Teildisziplinen« (2), auch »die wissenschaftliche Rechtfertigung und Selbstdarstellung der Theologie nach außen« (4) geriete in Schwierigkeiten. Der Band verdeutlicht in der Vielfalt der Zugänge pointiert die Dringlichkeit enzyklopädischer Klärung.