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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1421–1423

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Neville, Robert Cummings

Titel/Untertitel:

Religion. Philosophical Theology, Vol. III.

Verlag:

Albany: State University of New York Press 2015. 422 S. Geb. US$ 100,00. ISBN 978-1-4384-5699-7.

Rezensent:

Hermann Deuser

Mit diesem dritten Band vollendet sich das System einer Philosophischen Theologie, die als Trilogie von ontologischer/metaphysischer Grundlegung (Ultimates), theologischer Anthropologie (Existence) und komparativer Religionstheorie (Religion) immer wieder an Paul Tillichs Systematische Theologie erinnert: vom »ulti­mate concern« über die »religious situation« bis zum »courage to be« (vgl. zum 1. Bd.: ThLZ 139 [2014], 921–923; zum 2. Bd.: ThLZ 140 [2015], 549–551). Doch die Unterschiede in Wissenschaftsauffassung und Zeitumständen sind ebenso mit Händen zu greifen:
Durchgängig wendet Robert Cummings Neville in immer neuen Konstellationen sein Schema der vier kosmologischen Kategorien und der grundlegenden ontologischen Kreativitätshypothese an, die analytisch zum Erschließen von Phänomenen ebenso eingesetzt werden können wie auch als Maßstab für die Güte religiöser Symbolisierungen. Diese werden daran gemessen, wie sie die religiöse Grundrelation zum Unbedingten zur Darstellung bringen, zuletzt daran, wie konsequent die Grenzbegrifflichkeit der ontologischen Hypothese zur Geltung gebracht wird: die »radikale Kontingenz« alles Geschaffenen bei vollständiger Unbestimmtheit von allem, was »vor« dem Schöpfungsakt liegt. Dabei wird die Fülle und Verschiedenheit der religiösen Formen in Geschichte und Gegenwart keineswegs verkannt, im Gegenteil: Der »religiöse Pluralismus« (83) ist unvermeidlich und gehört zur Sache, schließlich ist von den vier Teilen des Buches »part II« allein den »historischen Religionen« gewidmet (abrahamitische Religionen, Buddhismus, Hinduismus, chinesische Religion). Die vorgeschlagene Definition von Religion muss dementsprechend dieses weite Feld ebenso abstecken wie dem zugrunde gelegten abstrakten Maßstab der (ontologischen) Kreativität als solcher gerecht werden: Religion ist »die menschliche Auseinandersetzung [engagement] mit dem Un­bedingten [ultimacy], wie sie zum Ausdruck kommt in kognitiven Artikulationen, existentiellen Antworten auf das Unbedingte, was dem Individuellen und der Gemeinschaft unbedingte Be­stimmtheit [ultimate definition] gibt, in Lebensmustern und Ritualen angesichts des Unbedingten« (312). Während sich der erste Band auf die Bestimmung von »ultimates« konzentrierte und der zweite auf die »existentiellen Antworten«, geht es jetzt um den Respekt gegenüber den Religionen und der Lage von Religion in der von Wissenschaft geprägten Gegenwartskultur. Neu daran ist, dass konsequent am amerikanischen Pragmatismus (Ch. S. Peirce) und der Prozessphilosophie (A. N. Whitehead) orientiert kosmologisch-kategorial verfahren, d. h. auf dem (natur-)wissenschaftlichen Ni­veau der Zeit argumentiert wird: Das »engagement of ultimacy« ist erfahrungsgeleitet »a ›natural kind‹« (39). Dieser Naturalismus bietet aber keine szientistisch-reduktionistische »Erklärung« an, die oft auf ein Wegerklären der Phänomene hinausläuft, sondern ein »Verstehen« (10), das sich den typischen und eigenwilligen Symbolisierungen der Religion widmet.
Die »religiöse Situation« der Gegenwart (80) zu verstehen, ist das eigentliche Anliegen dieser Philosophischen Theologie, und das wird in vier Hauptschritten entwickelt: Part I durchmustert die naturwissenschaftliche, religionswissenschaftliche (»Achsenzeit«), theologische und soziale Diskussionslage; part II die genannten historischen Religionen; part III die Normativität der Religion (Wertbeziehungen), Spiritualität und Gemeinschaft; part IV die Plausibilität/Unplausibilität der »Horizonte des Heiligen« (sacred canopies/worldviews), deren Gefährdung und die Chance des »ec-static fulfillment«. Das immer wieder angeführte Gerüst aller Argumente, die vier kosmologischen Kategorien zusammen mit der ontologischen Kreativitätshypothese, trägt tatsächlich durch die Fülle der Aspekte und baut Orientierungen auf. Diese überzeugen vor allem dadurch, dass die kritischen Seiten der Religion(en) ausdrücklich angesprochen, ja ihre Grenzen deutlich werden. Die ontologische Kreativität ex nihilo schließt aus, dass mit der Schöpfung (dem Geschaffenen) eine bestimmte Absicht (purpose) verbunden sein kann, denn dies würde der absoluten Unbestimmtheit auf Seiten des ›Schöpfers‹ zuwiderlaufen (181). Aus der Zwecklosigkeit des Universums in dieser Hinsicht folgt aber nicht seine Wertneutralität. Darin liegt das Missverständnis der europäischen Neuzeit und Moderne, dass die Mathematisierung an die Stelle der Zweckhaftigkeit treten konnte, weil die Welt des Faktischen von der Welt der Werte getrennt wurde. Hier kann die Religion also nicht contra Wissenschaften heute einen solchen »Zweck« nachliefern, sondern zu beachten ist: »Merkmal« der Formen des Geschaffenen ist die »Harmonie« in der gegenseitigen Bestimmtheit ihrer Elemente, und darin steckt bereits das, was Wert (value) hat: Stimmigkeit, Gelungenheit, Eleganz, Verpflichtung, Identitätsfindung etc. (chapter 9). Werden diese ästhetischen und ethischen Erfahrungen wiederum mit dem Maßstab des Unbedingten verbunden, so öffnet sich ein weites Panorama religiöser Spiritualität, Ritualität und Symbolisierung. Damit werden jeweils die Grenzen von Sprache und Begrifflichkeit erreicht, mit diesen besonderen Erfahrungs- und Ausdrucksformen deshalb aber nicht umgehen zu wollen, ist nicht möglich. Auch die wissenschaftliche Einstellung kann hier nicht mehr weiterhelfen (256), die Religion aber ist in doppelter Weise herausgefordert: einmal dadurch, dass ihre Symbolbildungen dem Alltäglichen und Vertrauten möglichst nahekommen müssen ( intimacy), dann aber – wegen der berechtigten wissenschaftlichen Kritik an religiös-verdinglichten Vorstellungen – ge­rade gegenläufig durch Symbole, die so transzendent wie möglich sein sollten (276 ff.). Hier herrscht folglich eine Dynamik, in der mit dem Zusammenbruch von gewohnten Symbolen gerechnet werden muss, aber auch mit wachsender Abstraktion der Symbolverständnisse und einem neuen Ausgleich mit der häufig anzutreffenden Unplausibilität des Religiösen (chapter 15). Letztes Kriterium bleibt der ontologisch-kreative Akt (293), demgegenüber der »Mut zum Sein« als die angemessene Antwort erscheint; religiös gesprochen das, was trotz allem als Gelingen und Heilen des endlichen Lebens gelten kann: »ecstatic fulfillment« (299).
Noch eine kurze Anmerkung zur durchgängig verwendeten Semiotik (im Anschluss an Peirce): In Sachen Religion sollen wahre von falschen Aussagen unterschieden werden können, und das wird durchführbar, wenn ikonisch gesehen (Zeichen stellen die Wirklichkeit dar) ein Anspruch auf zugrundeliegende Realität erhoben werden kann, während indexikalisch gesehen (Zeichen beziehen sich auf gegebene Kontexte) eine Relation zum Ausdruck kommt. Dann ist es möglich, dass religiöse Aussagen ikonisch falsch, aber indexikalisch wahr sind oder umgekehrt! Z. B. dann, wenn ein Gebet (279) einen faktisch eingreifenden Gott unterstellt (ikonisch falsch), während es um die aufrichtige Ausdruckgabe des »Herzens« geht (indexikalisch wahr). Diese epistemologische Be­trachtung der Zeichenformen steht in N.s Systematik nicht an erster Stelle, fundamental sind allein die kosmologischen Kategorien. Wäre es umgekehrt, käme den semiotischen Unterscheidungen selbst ein ontologisch-kategorialer Sinn zu, d. h. das Ikonische wäre das Element der (realen) kreativen Möglichkeiten, das Indexikalische der distanzierte, für empirische Kontrolle offene Referenzbezug. Dann könnte auch der Personbegriff für »Gott« in seiner (trinitarischen) Relationalität aufgefasst werden und müsste, wenn es um wahre Aussagen geht, nicht zugunsten von radikaler Unbestimmtheit des »Schöpfers« vermieden werden. – Gerade dieses Problem aber zeigt N.s unbedingte Offenheit und Klarheit der Argumentation bei gleichzeitig bewundernswerter Kompetenz im Blick auf die Religionen und die (christliche) Theologie. Mit den letzten Worten dieses Bandes gesagt: Die Trilogie ist wahrhaft »a vision made persuasive by making it seem familiar« (314).