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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1350–1352

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mohagheghi, Hamideh, u. Klaus von Stosch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gewalt in den Heiligen Schriften von Islam und Christentum.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 186 S. = Beiträge zur Komparativen Theologie, 10. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-77281-7.

Rezensent:

Martin Bauschke

Im Jahr 2009 wurde das »Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften« an der Universität Paderborn gegründet. Es versteht sich als interdisziplinäre Forschungseinrichtung, die eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Theologien und Kulturwissenschaften als gleichberechtigte Partner zum Ziel hat. Regelmäßig werden seither interdisziplinär angelegte Tagungen durchgeführt. So ist auch das vorliegende Buch, zugleich Band 10 in der Reihe »Beiträge zur Komparativen Theologie«, ein Sammelband, der eine Tagung des Jahres 2012 dokumentiert.
Nach einer Einleitung durch die Herausgeber und einer einführenden, hermeneutisch-systematischen Untersuchung der Frage, wie gewalthaltige Bibeltexte und der Glaube an einen gütigen Gott vereinbart werden können durch Reinhold Bernhardt (ein muslimischer Pendant-Beitrag zur selben Fragestellung in Bezug auf den Koran fehlt) folgen sieben Beiträge, die sich in exegetischen Detailstudien dem Problem der Gewalt in Bibel und Koran widmen. Christlicherseits kommen drei Autoren zu Wort. Zunächst Andreas Michel, der am Beispiel von Dtn 7,1–6 die Gewalt bei der Landnahme Israels beschreibt. Michel nimmt kein Blatt vor den Mund: »Völkerrechtlich gesehen steht in Dtn 7 eine Aufforderung zum mehrfachen Genozid mit göttlicher Autorität« (35). Allerdings stammten dieser Text sowie ähnliche andere Texte des Alten Testaments nach mehrheitlicher Auffassung aus der Zeit des babylonischen Exils, sie seien folglich fiktiv, auch wenn es sicherlich hin und wieder derartige der Vernichtung anderer dienende Jahwekriege gegeben habe. So­dann versucht Eckart Reinmuth, die performative Gewalt im Neuen Testament zu entschlüsseln. Er hat Recht: Die Gewalt-Thematik führt direkt »in den Kern des christlichen Glaubens, insofern das Kreuz als zentrales Symbol bleibendes Hinweiszeichen auf ein Ge­waltopfer darstellt« (52). Und auch hermeneutisch ist völlig unbestreitbar, dass jede Auslegung »gewalthaltig oder gar gewalttätig [wird], die die Gewalt der Texte nicht kritisch reflektiert« (58). Zwar verweist Reinmuth in der Folge auf einzelne gewalthaltige Passagen im Neuen Testament, doch eine exemplarische kritische Detailexegese fehlt. Diese findet sich dann aber bei Margareta Gruber, welche die »verbale Gewalt in Johannes 8,43–44« untersucht, wo die Juden als »Kinder des Teufels« beschimpft werden.
Es folgen vier muslimische Darstellungen. Zunächst von Hamideh Mohagheghi über Sure 2,190–195, eine Passage, in der zum Kampf gegen Aggressoren von außen (Muhammads Gegner aus Mekka) aufgerufen wird. Gewaltsame Notwehr bzw. Wiedervergeltung sei erlaubt, aber nicht in exzessiver Weise, meint die Autorin, die für ihre Auslegung nur schiitische Kommentare heranzieht. Islamisch gelte Krieg stets als ein manchmal notwendiges Übel, nie jedoch als etwas Heiliges. Besonders erhellend sind die beiden folgenden Beiträge: von Farid Esack und Muna Tatari zur vielfältigen Bedeutung des Jihad-Begriffes, die von Militanz und Krieg über Mission und soziales Engagement bis hin zu feministischem Gender-Jihad und befreiungstheologischen sowie pazifistischen Kampagnen reicht. Ähnlich vielfältig sind die Möglichkeiten, den berüchtigten Koranvers Sure 4,34 auszulegen. Der Frage, ob der Mann seine Frau notfalls schlagen dürfe, und falls ja, in welcher Form, stellt sich Nimet Seker. Schließlich befasst sich Alsayed Alrahmany mit dem Vorwurf der Gewaltanwendung gegen die Verehrer des Goldenen Kalbes in Sure 2,54.
Der gewalthaltigste Text im Neuen Testament ist unbestreitbar die Apokalypse des Johannes. Dass sich zu diesem Buch mit seinen vielen Gewaltphantasien keine einzige exegetische Darstellung im Sammelband findet, und sei es auch nur zu einer exemplarischen Passage, das überrascht und enttäuscht zugleich. Stattdessen gibt es, wie zu Beginn so nun auch zum Abschluss, eine hermeneutisch-systematische Untersuchung über religiöse Gewaltpotenziale und ihre theologische Reflexion. Auch diese Untersuchung stammt von einem christlichen Theologen ( Aaron Langenfeld). Auch hierzu gibt es leider keinen muslimischen Pendant-Beitrag. Langenfeld zufolge ist vor allem das apokalyptische Gedankengut »die eigentliche Triebfeder religiös motivierter Gewalt« (165). Daran ist viel Wahres dran. Umso schmerzlicher wird die kritische Auseinandersetzung mit der Apokalypse vermisst, sogar in diesem Beitrag. Da auch der Koran vergleichbare apokalyptische Texte enthält, wird eine entsprechende Detailstudie ebenfalls vermisst. Verwirrenderweise übernimmt es ganz am Ende Langenfeld selbst, die Frage zu beantworten, »wie von muslimischer Seite auf den Vorwurf reagiert werden könnte, eschatologische Gewissheiten generierten ein gesteigertes Gewaltpotenzial« (171). Fazit: Der Sammelband ist ein Stück weit unausgewogen. Die muslimischen Darstellungen darin werden christlich eingerahmt. Der Eindruck einer hermeneutisch-systematischen Deutungshegemonie christlicherseits kommt auf, besonders gegen Ende. Einige Artikel sind sehr lesenswert, das Konzept des Bandes bzw. der Tagung insgesamt ist aber nicht rundum überzeugend. Das als Hauptmotivator ausgemachte apokalyptische Gedankengut wird exegetisch gerade vermieden.