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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

392–393

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lang, Manfred [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Paulus und Paulusbilder. Konstruktion – Reflexion – Transformation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 461 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 31. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-374-02683-8.

Rezensent:

Lukas Bormann

Der Sammelband stellt Beiträge aus der neutestamentlichen Wissenschaft und der Kunstgeschichte zum Thema Paulus und Paulusbilder zusammen. Als Vorbild für diese Konzeption gelten die vier Vorträge von E. von Dobschütz aus dem Jahr 1925, gedruckt 1926 und 1928, die damals einem akademischen Publikum zeigen sollten, was die Kunst über Paulus zu sagen habe (5.348).
Am Anfang steht die Paulusdarstellung von W. Wiefel (9–120), über die im Vorwort mitgeteilt wird, sie habe bereits im Jahr 1988 druckfertig vorgelegen, habe aber aufgrund der Zeitumstände nicht publiziert werden können. Nähere Informationen über den 1998 verstorbenen Autor, dessen Stellung in der neutestamentlichen Wissenschaft der DDR und seine Haltung gegenüber den staatlichen Organen findet man bei F. Stengel, Die theologischen Fakultäten in der DDR, Leipzig 1998, 411 f. W.s Ausführungen entsprechen dem Diskussionsstand der 1980er Jahre, erscheinen aber dennoch dem Herausgeber auch heute für Bachelorstudierende als »Erstbegegnung« geeignet (5). Die Fragestellungen der neueren Paulusforschung, etwa nach dem Judentum des Paulus, nach dem Verhältnis von missionstheologischer und heilsgeschichtlicher Akzentuierung des paulinischen Denkens und nach der Bedeutung der Israelfrage für den Apostel, werden zwar aufgegriffen, aber letztlich stellt W. die Theologie des Paulus meist im Gegensatz zu dem dar, was er unter dem Judentum des 1. Jh.s versteht, etwa: »Der jüdische Theologe Saul aus Tarsus bildet gleichsam das Negativ des christlichen Theologen Paulus.« (40)
W. folgt hinsichtlich der Theologie des Paulus den als unumstritten geltenden Paulusbriefen, für biographische Fragen zieht er die Apostelgeschichte recht umfassend heran und kritisiert nur gelegentlich die »lukanische[n] Dramaturgie« (99). Charakteristika der Darstellung sind die religionsgeschichtliche Zuordnung des Paulus zur Apokalyptik (38: »schriftgelehrter Apokalyptiker«), die Rechtfertigung als Mitte der paulinischen Theologie (89) und die grundsätzliche Übereinstimmung der Theologie des Paulus mit der Verkündigung Jesu (117). Es fällt auf, dass die konfliktreichen Jahre vom Jerusalemer Konvent (Gal 2,1–10) bis zum Abschluss der Kollekte (Röm 15,30–32), über die uns die Selbstzeugnisse des Paulus so authentisch informieren, nur summarisch behandelt werden, so dass weder die galatische noch die korinthischen Krisen der paulinischen Mission näher analysiert werden.
Ch. Landmesser (121–152) entfaltet eine theologisch orientierte Rekonstruktion der paulinischen Gottesvorstellung. Der Heilscharakter des Handelns Gottes gründe in der Schöpfung, komme auch im Gericht zum Ausdruck und vollende sich im Heilsgeschehen als Christusgeschehen (141), das wiederum letztlich erst im »hymnischen Lobpreis« Gottes durch die Glaubenden zum Ziel gelange (152). Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass der spannungsvollen Dialektik der paulinischen Gottesvorstellung zu-gunsten synthetischer theologischer Interpretationen die Spitze genommen wird, etwa in den Ausführungen zum Gerichtsgedanken (137–141).
M. Lang (153–190) wendet sich dem Paulusbild des Kol und Eph zu. Dieses sei einerseits historische Erinnerung und andererseits geprägt durch die Sokrates-Tradition (ähnlich Schnelle, 217). Letztere wirke auch auf die Paulusbilder der Pastoralbriefe und der Apos­telgeschichte ein (187 f.).
U. Schnelle (191–219) weist Paulus einen zentralen Platz in der »christlichen Überlieferungskultur« zu. Diesen habe sich der »pneumatische Kraftmensch« (218) Paulus dadurch gesichert, dass er sich selbst in seinen Briefen als »Prototyp des Evangeliumsverkündigers« präsentiere (198). Die Paulusschule mit Sitz in Ephesus, die Deuteropaulinen und die Apostelgeschichte hätten dieses Selbstbild des Paulus aufgegriffen und weitergeführt (198–217). Schließlich wird noch die Entstehung jener Form der Kirche, die sich als die orthodoxe bezeichnet habe, gegen Walter Bauer auf Paulus zurückgeführt (219).
M. Engelmann (221–276) geht von der Hauptthese ihrer Dissertation aus, in der sie zu zeigen versuchte, dass die Pastoralbriefe unterschiedliche Abfassungsverhältnisse widerspiegeln und demnach als drei voneinander unabhängige Einzelschreiben von drei verschiedenen Autoren zu verstehen seien. Auf dieser Linie arbeitet sie drei Paulusbilder in 1/2Tim und Tit heraus, deren sich gegenseitig ausschließende Konturen jedoch nicht ganz deutlich werden. Die Argumentation wäre überzeugender ausgefallen, wenn die Gegenprobe, ob sich diese drei Paulusbilder nicht doch als Fa­cetten des einen Paulusbildes der Pas­toralbriefe zusammenfügen lassen, gewagt worden wäre.
M. Labahn (277–318) befasst sich mit »der multikausalen Konstruktion neokonservativer Frauenrollen« in den Pastoralbriefen. In sorgfältiger Quellenanalyse weist er die zunehmende Partizipation von Frauen am gesellschaftlichen Handeln in der antiken Welt nach, auf die eine breite »neo-konservative« Reaktion erfolgt sei (284–294). In ähnlicher Weise sei das Frauenbild des »Paulus der Pastoralbriefe« als Ganzes ebenfalls eine »neokonservative Antwort« auf gesellschaftliche Trends (318). Die politikwissenschaftliche Akzentsetzung, die der Begriff neo-konservativ (konservative Ansichten gegen die Mehrheitsmeinung) gegenüber dem gängigen Diktum von der »Verbürgerlichung« (Anpassung an Mehrheitsmeinung) der Paulustradition leistet, erweist sich als fruchtbar für weiterführende Überlegungen.
M. Meiser (319–346) stellt in seinem instruktiven Beitrag nicht nur das Paulusbild der patristischen Literatur, sondern auch die heidnische Kritik an Paulus dar. Gerade die christentumskritischen Autoren (Hierokles, Porphyrios, Julian) erfreuen sich gegenwärtig großer Aufmerksamkeit in der althistorischen Forschung, so dass die Einbeziehung ihres kritischen Paulusbildes in die Geschichte der Paulusrezeption besonders verdienstvoll ist.
E. Wipfler (347–375) gibt einen eindrucksvollen kunsthistorischen Überblick über »Paulus in der Ikonographie der Westkirche«. Die Motive der Paulusdarstellungen reichen vom Apostel, Prediger und Theologen bis zum exemplarisch Bekehrten und Visionär nach 2Kor 12,2–4. Zehn Abbildungen veranschaulichen die Lektüre der gehaltreichen Ausführungen.
Th. Daiber (377–416) behandelt die Paulusdarstellungen auf russischen Ikonen. Dort wird Paulus mit Halbglatze, langem Bart und in der Regel mit einem Buch oder einer Schriftrolle dargestellt (378). Die formalisierte Darstellungsweise beruht auf den Anweisungen, die den Ikonenmalern in Malerbüchern vorgegeben werden. Im Beitrag wird regelmäßig aufgezeigt, dass Paulus gegenüber Petrus ikonographisch nachgeordnet wird, die Darstellungen der beiden Apostel aber komplementär aufeinander bezogen bleiben. Der Würde des Petrus stehe das Gewicht der Schrift in der Gestalt des Paulus gegenüber (413).
Von Dobschütz folgte der Vorstellung, man könne aus Paulusbil­dern etwas über Paulus erfahren, und verband aus diesem Grund sein historisches Paulusbild mit den künstlerischen Paulusbildern. Aus den Beiträgen des vorliegenden Bandes lernt man hingegen, wie eng die Paulusbilder an die Sichtweisen ihrer literarischen und künstlerischen Konstrukteure gebunden sind und wie gering ihre historischen Interessen sind. Diese Spannung zwischen Historie und Rezeption wirkt sich auch auf die Geschlossenheit des Bandes aus. Die Beiträge, die sich mit den Paulusbildern im Neuen Testament, in der Alten Kirche und in der Kunstgeschichte befassen, sind durchweg anregend, geben gute Einblicke in die gegenwärtige Diskussion und vermitteln in der präsentierten Folge ein aufeinander abgestimmtes Ge­samtbild. Die Voranstellung der ausführlichen, aber nicht mehr zeitgemäßen Paulusdarstellung aus den 80er Jahren überzeugt hingegen nicht, und der Beitrag zur Gottesvorstellung des Paulus steht etwas unverbunden im Raum. Mehrere umfangreiche Register erschließen die Inhalte des Bandes.