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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1205–1207

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Swarat, Uwe, u. Thomas Söding [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gemeinsame Hoffnung – über den Tod hinaus. Eschatologie im ökumenischen Gespräch. M. Beiträgen v. M. Beintker, F.-L. Hossfeld, W. Klaiber, W. Klän, U. Link-Wieczorek, B. Oberdorfer, D. Sattler, F. Siegert, Th. Söding, U. Swarat, A. Vletsis, J. Werbick.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. 294 S. = Quaestiones disputatae, 257. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-451-02257-9.

Rezensent:

Christof Gestrich

Der theologische Markt präsentiert gegenwärtig viele Bücher, die christliche Eschatologie neu bedenken angesichts verschiedener theologischer Defizite in der Vergangenheit. Das hier vorgelegte Buch hat in diesem Zusammenhang einen besonderen Rang. Es will sichtbar machen, was in allen christlichen Konfessionen ge­meinsam gelehrt werden könnte (I) über die (unsterbliche?) Seele des Menschen, (II) über das Jüngste Gericht und (III) über die Vollendung von Mensch und Welt. Für diese gute Intention bot der Deutsche Ökumenische Studienausschuss (DÖSTA), der innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen schon seit über 60 Jahren besteht, die geeignete Basis. Er wird von namhaften, gut zusammenarbeitenden theologischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gebildet: Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Altkatholiken, Altlutheraner, Methodisten, Baptisten, Mennoniten, Orthodoxe und Altorientale tragen hier nicht allein ihre jeweiligen Mehrheitsmeinungen vor, sie führen überdies untereinander aufschlussreiche Diskurse. Letztere ziehen sich auch in das hier vorgelegte Buch hinein. Allerdings kann es die von Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg eindrucksvoll geleisteten Erwägungen »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?« wegen der Eigenständigkeit und Vielfältigkeit der eingebrachten Beiträge nicht direkt fortschreiben. Eher gelingt es, den »inneren Reichtum« des christlichen Glaubens im Spiegel der Konfessionen und der verschiedenen Theologie-Disziplinen aufzuzeigen. Die drei genannten großen eschatologischen Themenblöcke werden in der vorliegenden Veröffentlichung »nach einem doppelten Kreuzungssystem gegliedert. In jeder Sektion kommen – erstens – sowohl die systematische als auch die biblische Theologie zur Sprache, aber auch – zweitens – gezielt immer Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Konfessionen« (8).
Von den Herausgebern selbst stammen die beiden Eckpfeiler: der eröffnende Beitrag des baptistischen systematischen Theologen und derzeitigen Vorsitzenden des DÖSTA Uwe Swarat über den Zusammenhang zwischen dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und dem Glauben an die Auferstehung des Leibes sowie am Schluss der Aufsatz seines Stellvertreters, des katholischen Exegeten Thomas Söding, über das Verhältnis der individuellen und der kosmischen Eschatologie in den synoptischen Evangelien.
Swarat stellt dar, warum die meisten evangelischen Theologen im 20. Jh. der sogenannten Ganztodhypothese zustimmten. Er formuliert dann aber drei seines Erachtens notwendige Einwände gegen diese Hypothese, nämlich 1. die vernachlässigte Beachtung der geschöpflichen Kontinuität zwischen dem irdischen und dem gänzlich erneuerten Menschen; 2. dass Gott bei der Neuschöpfung nicht, wie manche meinen, bei ›Nichts‹ beginnt (somit auch »Auferstehung des Leibes« nicht eine creatio ex nihilo darstellt); 3. dass die »Ganztodhypothese« Verkürzungen der neutestamentlichen Anthropologie in Kauf genommen hat. Im nächsten Schritt erörtert Swarat die Gesprächslage zwischen theologischer und naturwissenschaftlicher Anthropologie. Er vermutet, dass der heute oft geforderte, neue theologische Anschluss an die »ganzheitliche Sicht des Menschen« im Alten Testament dem naturalistischen (physikalistischen, materialistischen oder monistischen) Menschenbild, das z. B. in der modernen Gehirnforschung begegnet, nicht wirklich philosophisch Überzeugendes und theologisch Richtiges »entgegensetzt«. Daher sei erneut die Unsterblichkeit der Seele zu bedenken. Im Ergebnis schließt sich Swarat an die von Joseph Ratzinger und anderen befürwortete »relationale Anthropologie« an (das Sein des Menschen wird von außen her aus den Beziehungen heraus aufgebaut). Ratzinger habe die beiden mittelalterlichen lehramtlichen Festlegungen über die Unsterblichkeit der Seele zeitgemäß und ökumenisch anschlussfähig weiterentwickelt. Er habe die Unsterblichkeitsauffassung nicht als griechisches Erbe begriffen, sondern als notwendige christliche Folgerung aus der dialogischen Beziehung des Menschen zum ewigen Gott. Letztere macht den Menschen »unzerstörbar«.
Auf dieses ökumenische Gesprächsangebot replizieren nun mehrere der weiteren Buchbeiträge zustimmend oder kritisch. Einige kommen der »Ganztodhypothese« wieder nahe (besonders der Beitrag von Folker Siegert). Oder sie modifizieren diese alt-testamentlich, indem sie sagen: Der Mensch stirbt zwar »leibhaft«, ohne dass eine Seele »übrig bliebe«, aber kraft der Gottesbeziehung bedeutet dies nicht »völliges Verschwinden« des Menschen, denn er lebt in Gottes Erinnerung weiter und kann von Gott auch wiederhergestellt werden (so u. a. Frank-Lothar Hossfeld). Dann berührt man bei der »leiblichen Auferstehung« allerdings den von Swarat hier abgewiesenen Begriff der »Neuschöpfung«. Im Hintergrund steht die kaum lösbare Frage, wie denn nach der völligen Gehirnzerstörung am Ende des Sterbens noch eine Ichkontinuität im menschlichen Wesen ausgesagt werden könnte? Swarat nimmt an, die Ichstruktur des geschaffenen Menschen überdauere den Tod durch ein weitergehendes Seelenleben. Aber seine Kritiker nehmen wahr, dass es dann kaum noch erklärbar ist, mit welcher Notwendigkeit am Jüngsten Tag der Leib wieder »hinzuempfangen« wird. Etwa nur aus der alten Erklärung heraus, die Trennung beider sei dem Menschen »wesenswidrig« eine »Unordnung der Natur«?
Welche Bedeutung hat ein »Zwischenzustand« (wenn es ihn überhaupt gibt, wie allerdings in den meisten Beiträgen angenommen wird)? Der Hauptsinn dieses »Zustandes« (der wohl eher als ein »Prozess« gesehen wird) sei die individuelle »Läuterung«. Diese aus dem Dunstkreis der alten Fegfeuervorstellung zu befreien, wird hier versucht. Wenn man sie im Sinne einer Neudeutung Benedikts XVI./Joseph Ratzingers als (Nach?-)Reifen in der Chris­tusliebe auffasst, dann sei dieser alte Streitgegenstand zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche hinfällig, schreibt Athanasios Vletsis (244). Gebete für die Verstorbenen gehören in die Kirche und dienen auch nach orthodoxer Auffassung der Läuterung (ohne Feuer). Dass es bei Letzterer im Kern um das Fortwirken und Klarerwerden der menschlichen Beziehungen (über den Tod hinaus) geht, unterstreicht vor allem Dorothea Sattler, die zuvor schon über »Selbstthematisierung im Selbstgericht« und »Biographieforschung in der Eschatologie« gearbeitet hat. Allerdings bleibt mindestens den Lutheranern die Vorstellung eines »Zwischenzustandes« doch nach wie vor fremd. Sie scheint die Kontinuität des Menschen zwischen Tod und Auferweckung am Jüngsten Tag nicht tragen zu können. Kann nicht allein Gott diese Kontinuität aus sich selbst heraus gewährleisten?
Alles bisher Genannte berührt auch das Thema des Jüngsten Gerichts und die Frage, ob dieses einen »doppelten Ausgang« habe (wozu sich die hier zu besprechenden Beiträge durchweg verstehen). Die apokatastasis panton am Ende der Weltzeit gilt allen als theologisch überzogen, auch wenn die meisten Beiträge ihr nahe kommen. Konsensfähig formulierte Michael Beintker, der Ge­richts-Inhalt sei, dass alle Zeichen von Liebe und von Lieblosigkeit in unserem Leben offenbar werden (»Stunde der Wahrheit«). Die theologische Qualität des Jüngsten Gerichts erschließe sich daraus, dass es mit dem von Jesus verkündigten Reich Gottes zusammenstimmt (Beintker, 98; in der Tendenz ähnlich auch Bernd Ober-dorfer).
Die frühere Mehrbeachtung der Individualeschatologie vor der Kosmos-Eschatologie ist in dem vorliegenden Buch – das ist eine interessante Erscheinung! – überall preisgegeben oder nicht mehr erwähnt. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, dass das heutige Verständnis des Menschen als eines Beziehungswesens den ganzen Kosmos mit betrifft. Auch eignet mehreren Beiträgen die Tendenz, den Himmel nicht mehr als »Zukunft« nach dem Tod, sondern als »Inspirationsraum« für diese Erde zu verstehen. Damit stellt sich die entscheidende Frage: Sind sowohl individuell über den Tod hinaus und sodann auch für die allgemeine Konvivialität auf der Erde jetzt und in Zukunft Entwicklungen zum »Guten« zu erwarten? Ist das Reich Gottes, das doch jetzt erst einmal nur im Glauben »schon da« ist, dennoch etwas, das tatsächlich »prozesshaft voranschreitet«? Karl Barth hatte dies in der zweiten Auflage seines Römerbriefkommentars von 1921 entschieden zurückgewiesen. Doch in der vorliegenden Veröffentlichung wird dies öfters angenommen – im Sinn einer unseren Pessimismus besiegenden »Hoffnung für diese Welt« (vor allem Jürgen Werbick, aber auch Ulrike Link-Wieczorek). Prozessualität solle in die Eschatologie eingearbeitet werden, wie dies auch bei Moltmann und Pannenberg schon geschah.
Auch die beiden gediegenen und innovativen exegetisch-neutes­tamentlichen Beiträge von Walter Klaiber und Thomas Söding sperren sich hiergegen nicht. Schon hier und jetzt gibt es ewiges Leben (Söding). Das Reich Gottes ist etwas, dem auch christliche Be­mühungen gelten dürfen, die dann ihren Lohn haben. Gottes Ge­richt kann auch die menschliche Läuterung intendieren (Klaiber).
Der in diesem Buch öfters wiederkehrende Begriff, der aus dem verdorbenen, gestorbenen und vielleicht apokalyptisch zerstörten Leben hinüberleiten soll ins »ewige Leben«, lautet Wandlung (»Transformation« aus den Kräften des Reiches Gottes heraus). Damit vor allem wurde neue Gemeinsamkeit erreicht. Doch blieb dieser tragende Begriff noch recht undeutlich. Ihn – und damit auch die Qualität des »ewigen Lebens« und der ihm zugeordneten »Seele« – besser zu erschließen, ist eine philosophisch und systematisch-theologisch noch weiter zu verfolgende Aufgabe.