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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1173–1175

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bugenhagen, Johannes

Titel/Untertitel:

Reformatorische Schriften (1515/16–1524). Hrsg. v. A. Bieber-Wallmann. Bearb. v. W.-D. Hauschild.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 935 S. m. 19 Abb. = Johannes Bugenhagen. Werke, Abt. I, 1. Geb. EUR 250,00. ISBN 978-3-525-55441-8.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Johannes Bugenhagen (1485–1558), der Beichtvater und engste Vertraute Luthers, gehörte zu den einflussreichsten Reformatoren. Die von ihm verfassten Kirchenordnungen organisierten und stabilisierten das lutherische Kirchenwesen im gesamten norddeutschen Raum sowie in Dänemark-Norwegen. Zugleich prägte er als Prediger und akademischer Lehrer die Ausformung der von Wittenberg ausgehenden Reformation. Luther sprach denn auch in den höchsten Tönen von ihm: Bugenhagen sei »ein Doctor Christi, den[n] er predigt das, was Christus geleret hat« (WA 47; 451,24 f.); in ihm, heißt es an anderer Stelle, trete einem geradezu der Geist Christi vor Augen (WA 30,3; 531,18). Mit einer kritischen Werkausgabe, die der nach seiner Herkunft auch »Pomeranus« genannte Bugenhagen längst schon verdient hätte, ist endlich der Anfang gemacht. Und nun gar was für ein epochaler, vielversprechender Anfang!
Die Vorgeschichte des Projekts begann vor drei Jahrzehnten. Der Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild, spiritus rector des Vorhabens und einst in Lübeck, also in einem von Bugenhagen geordneten Kirchenwesen geboren, plante zunächst eine zweibändige »Volksausgabe« der wichtigsten Schriften. Das vertiefte sich unter dem Rat von Kollegen und Freunden bald darauf in die Absicht, eine vierbändige historisch-kritische Werkausgabe der Reformatorischen Schriften vorzubereiten. Nach Hauschilds Tod im Frühjahr 2010 übernahm dessen Mitarbeiterin Anneliese Bieber-Wallmann die Federführung des Unternehmens. Im Herbst 2013 konnte sie den eindrucksvollen ersten Band der Öffentlichkeit übergeben. Gerne hätte man einen vorläufigen Editionsplan der gesamten Abteilung I »Reformatorische Schriften« zur Kenntnis genommen und außerdem auch erfahren, welche weiteren Abteilungen dieser Werkausgabe geplant oder angedacht sind.
Der vorliegende Band bietet, jedenfalls nach der editio princeps, Texte aus den Jahren 1515/16 bis 1524. In ihnen lässt sich die Entwicklung Bugenhagens »vom wenig gebildeten Autodidakten […] zum humanistischen Bibelausleger und reformatorischen Theologen« (XXIII) unmittelbar nachvollziehen. Den Auftakt bilden die frühen, knappen, auf eine Verbesserung des lateinischen Sprachgebrauchs abzielenden »Grammatice regule« (1515), der von Bugenhagen 1515 besorgte Nachdruck seines Briefwechsels mit Johannes Murmellius (1515), die »Belbucker Klosterpredigt« (1519/20) sowie der lateinische »Sendbrief an die Treptower Schüler« (1521), in dem Bugenhagen wohl zum ersten Mal in dezidiertem Sinn als Reformator erkennbar wird. Breiten Raum beansprucht sodann die vom »Pomeranus« verfasste »Passio Christi« (zuerst 1519/21), die er nacheinander, jeweils auch inhaltlich überarbeitet, in verschiedenen lateinischen, frühneuhochdeutschen und niederdeutschen Version en zum Druck brachte. Etliche kleinere Schriften, teils religiös-erbaulicher, teils biblisch-exegetischer Art, runden schließlich das wertvolle Quellenwerk ab.
Jeder Schrift (bei Parallelausgaben: jeder Version) ist eine bündige Einleitung vorangestellt, in der die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte des Textes präzise rekonstruiert wird; Hinweise auf dessen Wirkungsgeschichte bis zum Tod Bugenhagens treten, soweit möglich, dann noch hinzu. Die herausgegebenen Schriften werden von zwei Fußapparaten begleitet. Deren erster notiert alle sinntragenden textkritischen Varianten sowie Hinweise auf die wenigen editorischen Eingriffe. Der andere Apparat, durch Zweispaltendruck deutlich abgehoben, bietet die (heute) notwendigen Wort- und Sacherklärungen, ferner Zitatnachweise sowie knappe Erläuterungen zu den im Text aufscheinenden Personen, Orten und Ereignissen. Dergestalt gewährt die Ausgabe mühelos beides zugleich: ungeteiltes Lesevergnügen, aber auch wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeit mit den durchweg höchst instruktiven, anregenden Quellentexten.
Die Editionsrichtlinien werden von der Herausgeberin bis ins kleinste Einzelne penibel erläutert (XII–XXII). Auch der »Anhang« ist mustergültig erhellend und differenziert: Er enthält u. a. eine Zeittafel zu Bugenhagens Leben und Werk, ein frühneuhochdeutsches und niederdeutsches Glossar, dazu, jeweils separat, Register der Personen der Kirchen- und Geistesgeschichte sowie der Bibel (weshalb in dieser Reihenfolge?), der genannten Orte und Landschaften sowie der hochdeutschen, lateinischen, frühneuhochdeutschen und niederdeutschen Begriffe.
Der vorliegende Band leistet einen kaum hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur reformationsgeschichtlichen Spurensicherung. Sein Zustandekommen ist, auch wenn etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daran beteiligt waren, im Wesentlichen der treuen Beharrlichkeit und profunden Gelehrsamkeit Wolf-Dieter Hauschilds sowie der Herausgeberin, die damit einem Herzensanliegen ihres Lehrers Gestalt verlieh, zu verdanken. In zwei Wünschen glaubt sich der Rezensent mit den Lesern und Nutzern der Edition nahtlos verbunden zu wissen: dass diese Werkausgabe, die so meisterhaft begonnen hat, ihren stabilen Fortgang nimmt und dass die in ihr präsentierten Quellentexte der Reformation nun auch in einer Weise, die deren historisch-kritischer Aufbereitung würdig ist, eindringlich studiert, fachwissenschaftlich analysiert und reformationsgeschichtlich interpretiert werden mögen.