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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

865–867

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Instone-Brewer, David

Titel/Untertitel:

Feasts and Sabbaths. Passover and Aton­ement,

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2011. XVIII, 382 S. = Traditions of the Rabbis from the Era of the New Testament, 2A. Geb. US$ 62,00. ISBN 978-0-8028-4763-8.

Rezensent:

Michael Becker

Der vorliegende Band ist der erste Halbband des zweiten Teils der von David Instone-Brewer edierten Kommentierung frührabbinischer Texte, die insbesondere für neutestamentliche Exegeten zugänglicher gemacht werden sollen. Der Band setzt die methodischen und konzeptionellen Erläuterungen des ersten Teilbandes (TRENT 1, 1–40) voraus und geht nur in einem sehr schmalen Vorwort (XI–XIII) kurz auf die Aufnahme des ersten Bandes und einige wenige Veränderungen ein. Auf die äußerst kritische Rezeption des ersten Bandes wie vor allem des methodischen Konzeptes kann hier nicht ausführlich eingegangen zu werden. Doch wurde primär die Lösung der Datierungsproblematik als nicht tragfähig und deren optischer Ertrag in Gestalt fett gedruckter Textpartien – trotz zusätzlicher Erläuterungen – als der Komplexität der Probleme nicht angemessen empfunden. Hieran hat sich nichts geändert. Das Vorwort zeigt zwar, dass manche Kritik angekommen ist, freilich ohne Veränderungen in der Konzeption zu bewirken. Es wäre bei einem so breit angelegten Werk zwar eher verwunderlich, wenn sich Abweichungen vom Grundkonzept ergeben hätten, doch wäre es trotz des Aufwandes sicher ratsam gewesen, sich der Kritik stärker zu öffnen. Verwunderlich, aber signifikant bleibt, dass auch jetzt jeglicher Hinweis auf eine aktuelle Diskussion fehlt und nur die alte englische Auflage von Stembergers (mittlerweile Alleinautor!) Einleitung herangezogen wird. Sogar bei Neusner wird im Grunde nur auf dessen erste, von ihm selbst kritisch gesehene Schaffensperiode eingegangen.
Inhaltlich beschäftigt sich der Band mit rabbinischen Aussagen aus den ersten fünf Traktaten (Shabbat bis Yoma) der zweiten Ordnung der Mishna (Mo‘ed: Festzeiten). Auch hier werden wieder ne­ben kurzen Einleitungen zu den Traktaten und den thematischen Einheiten zu ausgewählten Mishna-Abschnitten Anmerkungen geboten. Sie leiten in den Text ein, kommentieren und datieren ihn. Dies geschieht mit dem Ziel, alte Traditionen vor dem Jahr 70 von denen danach zu trennen. Und nur dort, wo es sinnvoll er­scheint, auf vergleichbare neutestamentliche Traditionen einzugehen, wird dies in einem eigenen Abschnitt durchgeführt. Dies geschieht nur in knapp der Hälfte der Fälle, so dass die Datierung als eigenständiges Anliegen sichtbar wird.
Befragt man die angebotenen Ausführungen exemplarisch zu einem Traktat aus der Perspektive eines Neutestamentlers, so werden weitergehende Schwierigkeiten sichtbar. Insbesondere schafft die Abwendung von der Katenen-Form des Kommentars von Billerbeck neue Probleme, obwohl sie dem Anliegen, die Texte selbst zu Wort kommen zu lassen, entspricht. Es entsteht dadurch eher ein Kommentar rabbinischer Belegstellen mit solchen aus dem Neuen Testament. Das hat durchaus seinen Reiz, wenn dies intendiert und konsequent wie methodisch korrekt durchgeführt würde. Das ist freilich nicht der Fall.
Der Traktat Shabbat bietet sich für eine exemplarische Durchsicht an, da die Sabbat-Frage sowohl im Kontext der Jesus- und Evangelien-Forschung als auch für die paulinischen Gemeinden von besonderer Relevanz ist. Von den knapp 40 behandelten Stellen im Rahmen des Traktats geht etwa die Hälfte auf neutestament-liche Aspekte ein. Dabei werden mitunter nur terminologische Re­gelungen verglichen, bei denen man einen spezifischen Vergleichspunkt teilweise gar nicht erkennen kann (vgl. zu mShab 1:4; 2:6; 16:7; 24:5; Sifra 123.I.8a). Zudem wird der historische Wert mitunter vom Vf. selbst in Frage gestellt. Andere Vergleichspunkte erscheinen dagegen hypothetisch, spekulativ oder sehr allgemein; jedenfalls setzen diese Texte keine spezifische Kenntnis rabbinischer Halakha voraus (vgl. zu mShab 6:1–4; 7:1; tShab 1:21b [1:9]). Bei wieder anderen scheint der Vergleichspunkt geradezu gegenteilig zur Aussage des Vf.s (MekhSh Ex 20:8), oder es besteht aus neutesta­mentlicher Sicht kein Anlass zu einer Diskussion (mShab 16:1). Doch selbst dort, wo ein Vergleich zwischen neutestamentlichen Traditionen und rabbinischen Texten möglich erscheint (mShab 10:5b; 18:3–19:1; tShab 13:13b [14:12]), wird man kritische Rückfragen anstellen müssen, ob z. B. eine Aussage auf Jesus zurückgeht oder nicht, bzw. es ist da­nach zu fragen, was es bedeutet, dass sich die Evangelisten – insbesondere Mt – offenbar an die exegetische Diskussion ihrer Zeit angepasst haben.
Die Behandlung der Problematik von Heilungen am Sabbat, welche in der Jesustradition einen bedeutenden Platz einnehmen, verteilt sich im Kommentar auf mindestens sechs Belege, was jeden Vergleich unübersichtlich macht. Dabei spielt zunächst die Frage einer unerlaubten Arbeit eine Rolle, obwohl es hierfür – wie der Vf. selbst sieht – kaum Parallelen in Jesu Wirken gibt und eher eine spätere Diskussion angesprochen scheint (mShab 14,3 f.; 22:6). Etwas anders liegt der Fall im Blick auf die Auflistung von am Sabbat verbotenen Arbeiten (mShab 7:2), wenn man dies auf die vermeintliche Erntetätigkeit der Jünger (Mk 2,23–28) bezieht. Allerdings kommt dabei das wichtige Jesus-Logion von Mk 2,27 und eine mögliche Parallele in MekhY zu Ex 31,14 (par. bYom 85b) gar nicht in den Blick, obwohl der Kontext in Anm. 52 (61 f.) angesprochen wird.
Auch die Behauptung, dass Jesu Heilungen »merely by prayer« geschähen (71) und daher mit tShab 16:22a zu vergleichen seien, erscheint angesichts des vollmächtigen Handelns Jesu kaum haltbar (s. lediglich Mk 7,34; 9,29; Joh 11,41 f.). Zu bezweifeln ist darüber hinaus, ob die Problematik des Tötens im Jesus-Logion von Mk 3,4 durch einen Vergleich mit dem Tötungsverbot einer Laus (mShab 16:21) geklärt werden kann. Vielmehr wäre zu fragen, ob die hyperbolische Aussage auf Kriegshandlungen am Sabbat (vgl. 1Makk 2,29–48, besonders 41; JosAnt 12,272–277) anspielt. Doch selbst die Regel, dass Lebensgefahr das Sabbatgebot bricht (vgl. mYom 8:6 f.; tShab 15:16 [16:13]), hilft hier kaum weiter. Denn obwohl die Diskussion um die Rettung von Vieh und Menschen aus einer Grube (mBez 3:4) – wie richtig gesehen – auf sehr viel ältere Regeln (CD XI 13–18; 4Q265 6,5–7 [ olim 7 I 5–8]) zurückgreifen kann, dürfte sie in der Jesus-Tradition erst sekundär ergänzt worden sein.
Insgesamt werden zwar wichtige Aspekte angesprochen, das Ganze bleibt jedoch nicht nur aus der Sicht eines Neutestamentlers unübersichtlich. Hilfreich sind zwar die Begriffs-, Namens- und Stellen-Konkordanzen, doch erstaunt in letzterer die Aufteilung des Bereichs »Misc.«, in welchem neben Philo und Josephus noch Cicero, Dio Cassius und die Fastenrolle eingeordnet werden, ebenso wie die unstrukturierte Anordnung der Qumranbelege und zwischentestamentlichen Zeugnisse.
Ob das frührabbinische Material Neutestamentlern auf diese Weise wirklich näher gebracht werden kann, ist zu bezweifeln. Erfahrene Exegeten schreckt der naive Umgang mit den Texten ab, und die Unerfahrenen erhalten eine Vergleichbarkeit vorgegaukelt, die von den komplexen Diskussionen – sowohl in der Judaistik als auch in der neutestamentlichen Forschung – keine Spur erkennen lässt. Die Zusammenfassungen am Schluss eines Traktats spiegeln zudem eher die Notwendigkeit einer Erarbeitung in Exkursen oder Monographien (die zum Sabbat vorhanden sind; vgl. z. B. die Beiträge von L. Doering und A. Mayer-Haas). Auch wenn sich der Vf. hier im Blick auf sein Anliegen verkannt fühlen mag (vgl. XII), so entspricht dies doch dem Bedürfnis derer, die in einem solchen Kommentarwerk Rat suchen, dem man wenigsten mit Hinweisen nachkommen sollte.