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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

803–805

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Haustein, Jörg

Titel/Untertitel:

Writing Religious History. The Historiography of Ethiopian Pentecostalism.

Verlag:

Wiesbaden: Otto Harrassowitz Verlag 2011. XVI, 295 S. = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika), 17. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-447-06528-3.

Rezensent:

Andreas Heuser

Innerhalb der jüngeren Geschichte des Christentums ist die Beobachtung seiner Umverlagerung in den sogenannten »globalen Süden« inzwischen zu einem Allgemeinplatz avanciert. Wenngleich keine Einigkeit darüber herrscht, wie diese epochale Veränderung in globalen Religionstopographien konzeptionell zu verstehen ist, so wird doch die weltweite Pfingstbewegung als ein zentraler Wandlungsfaktor identifiziert. Dies drückt sich auch darin aus, dass deren Wachstumsdynamik aus zunächst stärker ökumene-, missions- und religionswissenschaftlich orientierten Erkenntnisinteressen ins breite Rampenlicht interdisziplinärer Forschung gerückt ist. Aus diesem Zusammenspiel sind im vergangenen Jahrzehnt grundlegende Studien zu methodischen wie theoretischen Zugängen zur Erforschung der Pfingstbewegung erschienen. Hinzu kommen erste komparative Ansätze, die bestimmte Aspekte der Pfingstbewegung in globaler Perspektive verhandeln oder historiographisch angelegte Arbeiten, die die Geschichte einzelner Pfingstkirchen in ihrer transnationalen Vernetzung nachzeichnen. Die Studie von Jörg Haustein reiht sich in die allmählich wachsende Zahl von Arbeiten ein, die sich der Geschichte der Pfingstbewegung in ihren länderspezifischen Kontexten stellen.
In dieser Forschungslinie gewinnt, parallel zu ihrem ansteigenden Gewicht im globalen Christentum, die Pfingstbewegung in Afrika an Profil. Die bisherigen nationalen Historiographien kartographierten die Pfingstbewegung in vorwiegend west- und südafrikanischen Ländern, die sich durch eine unübersehbar starke Präsenz und zugleich einen enormen Variantenreichtum aus-zeichnen. Jüngste Publikationen sprechen diesbezüglich von einer durchgreifenden Pentekostalisierung des öffentlichen Raums in Afrika. Demgegenüber füllt H.s Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung eine Leerstelle in Bezug auf ein Land, das sich der Vorstellung einer bereits vollzogenen kulturellen Hegemonie der Pfingstbewegung, auf deren Wellenlängen sich eine enorme Ausstrahlung in die weitere Region und in Migrationszusammenhänge hinein ergäben, verschließt. Der Einsatzpunkt ist hier eher in der Eingangsbemerkung H.s zu finden, dass »die Pfingstbewegung in Äthiopien auf Dauer angekommen« sei (X). H. lehrt seit 2013 an der School of Oriental and African Studies in London, vorher war er Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Missionswissenschaft in Heidelberg, von dem we­sentlich kulturwissenschaftlich inspirierte Impulse für den Forschungsgegenstand der pfingstlichen Bewegung ausgehen. Dies spiegelt sich im theore-tischen Anspruch dieser Darstellung der äthiopischen Pfingstbewegung, die dort in leicht überarbeiteter Fassung als Dissertation entstanden ist.
Der Reiz der Historiographie der äthiopischen Pfingstbewegung H.s liegt sicher auch darin, ein historisches Bild zu zeichnen, mehr noch aber darin, implizite hermeneutische Implikationen heraus zu filtern, die in kollektive Gedächtnisbildungen und historiographische Rekonstruktionen einfließen. Die historische Skizze setzt ein in den 1950er Jahren und beruht auf einer materialreichen Sammlung von Primärquellen und Zusammenstellung von Dokumenten, um eine Sichtung und Auswertung von relevanten Archiven in kirchenhistorischer Aufarbeitung zu liefern, zu denen der Bestand an Quellen der oral history gehört, die verschiedentlich also auch am­harischsprachige Quellen mit einschließen. Wir er­fahren über historische Verflechtungen der äthiopischen Pfingstbewegung vor allem in schwedische und finnische pfingstkirch-liche Milieus hinein, deren Bedeutung gerade hinsichtlich der regionalen, ostafrikanischen Kirchengeschichte nicht hoch genug einzuschätzen ist. Es geht um die schwierige Verankerung pfingstlicher Gruppen in einem über Jahrhunderte gewachsenen Mehrheitsszenario der monophysitischen Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, die als Staatsreligion fungierte; die Komplexitätsbeschreibung differenziert sich je nach lokalem Kontext durch die kirchengeschichtlich weitaus kürzere durée der lutherischen Kirche aus. Eine politisch wie historiographisch zentrale Rahmung bildet die Phase des revolutionären Übergangs von der dynastischen Herrschaft Haile Selassies zu einem sozialistischen Regime.
Nicht allein die Einführung und Festigung dieses Derg genannten politischen Systems, das von 1974 bis 1991 Bestand hatte, brachte leidvolle Erfahrungen von Verfolgung und christlichem Märtyrertum (nicht allein) auf pfingstkirchlicher Seite. Wie in einem Prisma reflektieren die Identitätsdiskurse innerhalb der Pfingstbewegung diese Erfahrungen des Derg. Hinzu kommt eine Langzeiterfahrung, die beide prägenden politischen Systeme in der jüngeren äthiopischen Geschichte umgreift: Verwurzelt in nordeuropäischen Pfingstmissionen, etablierte sich die äthiopische Pfingstbewegung mit ihren frühen lokalen Leitungsgremien, die urbane Bildungsschichten wie rurale bäuerliche Schichten vernetzten, be­reits seit den späten 1950er Jahren als Untergrundkirche. Insbesondere seit den 1990er Jahren, in der auf den Derg folgenden politischen Öffnung im Fahrtwind des »wind of change«, zeigt sich, dass die Pfingstbewegung weit in das klassische äthiopische kirchliche Spektrum hinein ragt, wo es zu größeren Charismatisierungsschüben etwa in der lutherischen Mekane-Yesus-Kirche kommt. Zu­dem steigt der Einfluss von afrikanischen Megakirchen in Äthiopien. H.s theoretisches Interesse gilt der Frage historiographischer Re­präsentanz, den Narrationsstrategien einer Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung. Unter Aufnahme poststrukturalistischer und postkolonialer Ansätze profiliert er diese Geschichte in den vier Dimensionen von vielstimmigen Erzählkulturen, Diskursanalyse, Genealogie und Kontext.
Der Aspekt der Narrativität von Geschichte widerstrebt dem historizistischen Sinne, geschichtliche Fakten so zu rekonstru­-ieren, wie sie vermeintlich einmal waren. Es handelt sich vielmehr um eine diachron geschichtete und jeweils gegenwärtige, synchron sich ausbreitende Repräsentation der Vergangenheit, de­ren Aussageebenen eigene Akzente setzen und die sich durchaus widersprechen können. So stellt eine solche historiographische Position die Genealogie der äthiopischen Pfingstbewegung (bis auf einen Eingangsimpuls) als gänzlich unabhängig von europäischen Pfingstmissionen dar. Die Erzählintention besteht darin, afrikanische Initiative als überlegen darzustellen bzw. europäische Vorstellungen des Kircheseins als inadäquat im afrikanischen Kontext zu entlarven. Mehrere andere pfingstliche Erzählstränge theologisieren die Situation der Verfolgung und fordern entweder eine Abstinenz von der Welt der Politik, um das Vertrauen in Gottes Führung allein zu stärken, oder aber sie politisieren ganz im Gegenteil pfingstliche Glaubenswelten, indem sie den Derg als Prüfung Gottes deuten, um der pfingstlichen Erweckung in Äthiopien in der anschließenden Gegenwartsphase zum Durchbruch zu verhelfen.
Insgesamt gesehen zirkuliert H.s Darlegung der Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung um die Konstruktionsstrategien einer pfingstkirchlichen Identität in verschiedenen historischen Phasen und kontextuellen Konstellationen. Er legt sich verändernde Zuordnungs- und Abgrenzungsdiskurse offen, die sich an jeweilige historische Dynamiken an- und einpassen. Der aufgebotene Theorierahmen eignet sich hervorragend, um über die äthiopische Pfingstbewegung hinaus einige Hauptkapitel (nicht allein) der Geschichte des afrikanischen Christentums mit frischem Blick neu zusammenzustellen.