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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

702–704

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Glavac, Monika, Höpflinger, Anna-Katharina, u. Daria Pezzoli-Olgiati[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Second Skin. Körper, Kleidung, Religion.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 303 S. m. 82 Abb. = Research in Contemporary Religion, 14. Geb. EUR 69,99. ISBN 978-3-525-60448-9.

Rezensent:

Ulrike Bechmann

Religiöse Kleidung ist seit Beginn des 21. Jh.s in Europa zu einem Politikum geworden. Gerichtliche Prozesse und politische Debatten um das Tragen eines Kopftuches für muslimische Frauen oder die jüngsten Debatten um ein Burkaverbot beschäftigen Medien, Politik und Religionsgemeinschaften. Dieser Diskurs um die second skin fügt sich ein in den Diskurs um Körper und Körperlichkeit, da auch die Körpermodifikationen der »ersten Haut«, von Tattoos bis hin zu Schönheitsoperationen, wieder hoch im Kurs stehen. Sie haben allerdings historisch wie interkulturell eine lange, auch religiöse Tradition.
Der vorliegende Band ist Teil der Forschung zur Religion in Wechselwirkung mit gesellschaftlich relevanten Bereichen, die das Zentrum für Religion, Wirtschaft, Politik, ein Zentrum der Schweizer Universitäten sowie des Collegium Helveticum, verfolgt und die die Herausgeberinnen D. Pezzoli-Olgiati und A.-K. Höpflinger leiten und koordinieren. Verknüpft ist das Projekt mit dem internationalen Netzwerk »Commun(icat)ing Bodies. The Body as a Medium in Religious Symbol Systems«.
Der Band verortet das Thema second skin im kulturwissenschaftlichen Diskurs von Kleidung als Kommunikation (in drei Dimensionen: als Produkt, als Verhalten und als Repräsentation) und kann ihn gerade darin mit dem Kommunikationssystem Religion in Beziehung setzen. Derart wird die Interaktion zwischen Kleidung und Religion in einem religionstheoretischen Rahmen analysiert und erarbeitet (11). Darin holen die Herausgeberinnen die sehr diversen Einzelphänomene des weiten Forschungsfelds »Kleidung« theoretisch ein und formulieren deren inneren Zusammenhang. Anthropologisch wie kulturwissenschaftlich kann Kleidung (mit anderen Körpermodifikation wie Tattoos, Schmuck etc.) als second skin, als die »Nahtstelle« zwischen dem (Eigen-)Raum Körper und der Gesellschaft aufgefasst werden. Kleidung hat folglich sehr unterschiedliche Funktionen im jeweiligen kulturellen Symbolsystem. Ihr wohnt eine visuelle, materielle und performa­tive Dimension inne, sie wirkt und reagiert auf ihre Kontexte. Sie repräsentiert einerseits die Person und ihre Identität, dies aber immer in einem wechselseitigen Prozess mit der jeweiligen Umgebung, der diese Repräsentation auch zu irritieren, zu verwischen oder infrage zu stellen vermag. Um diese verschiedenen Bedeutungsdimensionen von religiöser Kleidung zu erfassen, wird das Konzept des circuit of culture (P. du Gay u. a.) verwendet – ein Instrumentarium, um die Erschaffung von kultureller Bedeutung von Religion und Medien zu analysieren. »Kleidung« lässt sich demnach in die Aspekte Identität, Repräsentativität, Produktion, Re­zeption und Regulierung auffächern; sie kann man analysieren und miteinander in Beziehung setzen. Diese fünf Kriterien gliedern die interdisziplinär angelegten Beiträge und werten sie reli-gionstheoretisch (für die Rolle religiöser Kleidung und Körper-modifikationen) als kommunikative Bedeutungsproduktion aus (16–22).
Die identitätsstiftende Komponente vestimentären Handelns erörtert S. Romagnoli anhand der philosophischen Debatte um personale Identität und körperbasierte Identitätskonzeption. V. Pezzoli untersucht, wie Jugendliche sowohl Identifikation wie Abgrenzung durch Kleidung und Körpermodifikation kommunizieren, je nachdem, auf welche community sie sich beziehen. Pilgerzeichen und Pilgerkleidung konstituieren eine temporary travelling community, wie T. Mendel anhand seines Forschungsprojektes im Vergleich von Japans Shikoku Henro und dem Jakobsweg zeigen kann.
Der religiösen Repräsentation nähert sich der Band durch die Analyse von Tätowierung, Schmuck, Accessoires und Kleidung sowohl in direkter als auch indirekter Verwendung im Spiegel von Medien. R. Zwicky geht der medialen (Doppel-)Funktion von Tatauierungen innerhalb eines religiösen Symbolsystems am Beispiel des Reiseberichts von Sir Joseph Banks (1743–1820) nach, der James Cook bei seinen Pazifikreisen begleitete. Sie wirkten nicht nur innerhalb ihres Kontextes, sondern auch als Interpretationsmedium für den Europäer, mit dessen Hilfe er das religiöse Symbolsystem wahrnehmen konnte. Kontextuell gebunden repräsentiert der preußische Eisenschmuck aus der Krisenzeit der Napoleonkriege Anfang des 19. Jh.s ein politisch wie religiöses »Statement« ( A.-K. Höpflinger). Gerade hier zeigt sich die enge Verbindung der unterschiedlichen Aspekte des circle of culture, da erst die Massenproduktion die Repräsentation und identitätsbildende Funktion ermöglicht. Der verweisenden Funktion der Kleidung auf Traditionen, Gruppierungen oder Lebenshaltungen bedienen sich die Medien in Karikaturen (M. Glavac) oder in filmischer Umsetzung; Letzterer gehen mit zahlreichen Abbildungen N. Fritz/M.-Th. Mäder am Beispiel von »SECRETARY« (S. Shainberg, US 2002) nach.
Im Abschnitt Produktion und Rezeption spannt sich der Bogen vom Wandel des ethnologischen Interesses an indonesischen Textilien (P. von Wyss-Giacosa), von der Kleidung (bzw. Nacktheit) als Ausdruck der Erlösungssuche im Hinduismus (M. Burger) über virtuelle »smart garments« als Kommunikationsprozess (A. Ornella) hin zur Außenwahrnehmung religiöser Kleidersymbolik im öffentlichen Raum anhand von Bildern (D. Plüss). Die Autoren und Autorinnen reflektieren dabei auch die jeweilige Forschungsmethode, z. B. den Einsatz visueller Medien für religionswissenschaftliche Analysen. Sehr vielschichtig erörtert R. Ammicht-Quinn ethische Fragen in dem Wechselspiel von Innen- und Außenwahrnehmung und Gewalt, die sich bei der Rezeption des Körpers und seiner gewaltvollen Verletzung stellen, mit einschneidenden Konsequenzen hinsichtlich der Bedrohung des »natürlichen Körpers« im Kirchenkörper.
Den Aspekt der Regulierung nehmen zwei Beiträge zu politischen, medialen und öffentlichen Machtdiskursen am Beispiel der gegenwärtigen Debatte um das Kopftuch auf. Die dahinter stehende Politik beurteilt A. Liedhegener mehr als »Religionspolitik« denn als »Körperpolitik«, die neu die Repräsentation von Religion im öffentlichen Raum aushandelt. Er warnt vor einer Religionspolitik anstatt rechtsstaatlicher Mittel, weil dadurch Minderheitsrechte dem politischen Spiel ausgesetzt werden und nicht mehr das Recht greift. Dieser durch die Außensicht dominierten Regulierung stehen die Innenwahrnehmung und Identitätskonstruktion religiös vestimentär agierender Personen gegenüber, die J. Grigo auf der Basis ihrer Forschung erläutert.
Fazit: Diese interdisziplinär angelegten Zugänge zum Thema Körper, Kleidung und Religion lassen sich auch unter weiteren Perspektiven vernetzen bzw. aufeinander beziehen. Sie belegen die Bedeutungsproduktion von Kleidung besonders bei religiös konnotierter Gestaltung der second skin, die nur kontextuell decodierbar ist. So plural das Themenfeld ist, so interessant ist die religionstheoretische und diachrone wie synchrone Perspektivierung völlig unterschiedlicher Phänomene. Verschiedentlich erhält man Einblick in ganz aktuelle Forschungsprojekte. Ein Sachindex erschließt zusätzlich thematisch die Artikel. Dieser gut ausgestatte Band verdient hohe Aufmerksamkeit, er macht Lust auf eigene Forschung, eröffnet durch die Vielfalt der Einzelphänomene interessante »Welten« vestimentären Handelns, gibt aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten theoretische Horizonte und liefert wichtige methodische wie inhaltliche Grundlagen. Kurz: sehr zu empfehlen.