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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

629-631

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wozniak, Robert J., and Giulio Maspero [Eds.]

Titel/Untertitel:

Rethinking Trinitarian Theology. Disputed Questions And Contemporary Issues in Trinitarian Theology.

Verlag:

London: T & T Clark International (Bloomsbury) 2012. 498 Kart. US$ 44,95. ISBN 978-0-567-22546-7.

Rezensent:

Martin Wendte

Dieses ausgesprochen lesenswerte Buch versammelt Beiträge von führenden römisch-katholischen, orthodoxen und protestantischen Forschern zur Trinitätslehre unter einer doppelten Zielrichtung. Es will die trinitarische Theologie dadurch erneut durchdenken, indem es einerseits Studien zu den wichtigsten Etappen der Genese der Trinitätslehre vorlegt, und indem es andererseits systematisch-theologische Beiträge zu den zentralen gegenwärtigen Debatten präsentiert. Das Ziel des Buches besteht darin, ein Wechselverhältnis zwischen beiden Schwerpunkten zu etablieren: Von gegenwärtigen Debatten aus sollen Diskussionen aus der Theologiegeschichte einer erneuten Prüfung unterzogen werden, und von den theologiegeschichtlichen Studien aus ergeben sich neue Im­pulse für gegenwärtige Debatten.
Zu diesem Zweck ordnen die beiden Herausgeber Gulio Maspero, Associate Professor an der Pontifikaluniversität zum Heiligen Kreuz in Rom, und Robert Wozniak, Associate Professor an der Pontifikaluniversität in Krakau, die insgesamt 20 Beiträge in fünf Kapitel. In einem ersten Kapitel wird in historischer Perspektive die Entwicklung der Trinitätslehre von Augustin (Lewis Ayres) über das Mittelalter (Robert Cross) bis zur Reformation und Neuzeit (Samuel Powell) rekonstruiert. Im zweiten Kapitel werden systematisch-theologische Grundfragen der Trinitätslehre exploriert wie etwa die Zuordnung von Wesen und Substanz Gottes (Michael Schulz). In diesem gedankenreichen Beitrag wird zuerst die Konzeption von Hegel, Pannenberg und von Balthasar analysiert, ehe Schulz seinen eigenen Vorschlag präsentiert. Auch die angemessene Denkbarkeit der Perichorese der Trinität (Emmanuel Durand) und die Frage nach der Freiheit Gottes (John D. Zizioulas) werden erforscht. Ein drittes Kapitel bedenkt in »Neuen Lesarten« (209) im Anschluss an Überlegungen von Karl Barth das Problem des filioque (Bruce McCormack), unter Rückgriff auf Gadamer, Heidegger und Derrida Fragen der Hermeneutik (Andrzej Wiercinski) und (mit Kevin Hart) die Frage, ob nicht nur eine einzelne Person der Trinität, sondern die Trinität als Ganze ein Gegenstand einer phänomenologischen Methode eigener Art sein kann. Sodann wird auf die Anthropologie scharfgestellt. Dazu wird die Trinität als communio in den Blick genommen (Gisbert Greshake). Dann aber wird von Kathryn Tanner entschieden kritisiert, dass die Trinität oftmals als Modell menschlichen Soziallebens angesehen wird, da die Zuordnung der drei trinitarischen Personen auf nicht-analogisierbare Weise enger ist als die menschlicher Personen. Vielmehr ermöglicht das enge Verhältnis von Jesus Christus zu Gottvater und zum Geist, dass Jesus ein Leben in der Fülle des Reiches Gottes führt und dadurch menschliches Leben zu einem Leben in Fülle ermächtigt. Der trinitarisch eingebundene Christus, nicht die Trinität selbst ist somit zentraler Fokuspunkt menschlichen Soziallebens. Auch wird im modifizierenden Anschluss an William von St. Thierry ein Vorschlag vorgelegt, der trinitarische Theologie und mystische Spiritualität zu verbinden sucht, indem eine Zentraleinsicht von Wilhelm exploriert wird: Amor ipse intellectus est (David Tracy). Im abschließenden fünften Kapitel werden drei neue Systematische Perspektiven eingespielt.
Exemplarisch sei ein besonders anregender Beitrag kurz näher vorgestellt, der zugleich das Ziel des Buches gut realisiert, historische und systematische Perspektiven zu verschränken. Lewis Ayres, der in Durham lehrende Augustin-Forscher, attackiert die gegenwärtig weit verbreitete Lesart der Geschichte der Trinitätslehre, die von vielen Vertretern der gegenwärtigen »Revivals« (3) der Trinitätslehre präsentiert wird. Laut ihr ist Augustins Trinitätstheologie mit ihrer Überbetonung der Einheit Gottes und ihrer Unterbetonung der dreifaltigen Differenzierung der Personen ein wesentlicher Grund für den Niedergang der Trinitätstheologie in der lateinischen Christenheit und zugleich ein Ausgangspunkt vieler systematisch-theologischer Probleme bis in die Gegenwart. Dagegen betont Ayres, dass Augustin in Wahrheit nicht nur eine eigene Art des Personalismus innerhalb der Trinität vertritt, welche die drei Personen als voneinander unterschiedene Träger der Fülle göttlichen Lebens bestimmt. Vielmehr verbindet Augustin diese Einsichten zugleich mit kritischen Reflexionen gegenüber dem Personenbegriff selbst, da er meint, dass dieser nicht in der Lage ist, die in den Blick genommene Sache zu erfassen; Augustin vertritt somit letztlich einen apophatischen Personalismus. Mit dieser Lesart Augustins wird die gegenwärtig weitverbreitete Lesart der Geschichte der Trinitätslehre inhaltlich korrigiert und zugleich dezentriert. Denn bei Aufnahme des Anliegens, Differenzierungen innerhalb der Trinität zu sichern, wird zugleich in Frage gestellt, ob dies durch den Personenbegriff geleistet werden kann, und es werden neue sprachliche Mittel zur Erlangung des Anliegens zur Verfügung gestellt. Historische Forschungen verdanken sich oftmals nicht nur systematischen Fragestellungen, sondern eröffnen zugleich neue Denkoptionen für gegenwärtige systematisch-theologische Debatten.
Das Buch bietet einen exzellenten Einblick in viele der momentan wichtigsten Debattenfelder um die Geschichte und die systematische Verfasstheit der Trinitätslehre. Indem die Herausgeber Beiträge von einigen der international führenden Forscher zu diesen Debattenfeldern versammeln, gelingt zum einen oft auf ho­hem Niveau das angestrebte wechselseitige Zusammenspiel von historischer Exploration und systematisch-theologischen Neukonzeption, zum anderen gelingt ein Überblick über verschiedene und auch einander widersprechende Positionen zu einem Themenbereich. Damit ist das Buch ein hervorragender Ausgangspunkt für alle weiteren Debatten um die Trinitätslehre.
Jedoch hätte der Band noch gewonnen, wenn er dem Leser in formaler Hinsicht durch eine ausführlichere Einleitung, durch eine Vorstellung der Autoren und durch ein Sachregister eine bessere Orientierung über die verschiedenen Beiträge und über das Buch als Ganzes ermöglicht hätte. Auch ist anzufragen, warum dem Verhältnis der Trinitätslehre zur Anthropologie ein eigenes Kapitel gewidmet ist, nicht aber dem Verhältnis der Trinitätslehre zur Schöpfungslehre, zur Christologie oder zur Ekklesiologie (um nur einige naheliegende Topoi zu nennen). Zudem ist die angestrebte ökumenische Ausgeglichenheit der Beitragenden nicht voll erreicht; die Mehrzahl der Autoren ist römisch-katholischen Hintergrundes. Das mag mit erklären, dass viele wichtige Vertreter der Geschichte der Trinitätslehre aus Alter Kirche, Mittelalter und dem 20. Jh. exzellent aufgearbeitet, andere – wie etwa die Reformatoren, aber auch Hegel und Schelling – nur kurz gestreift werden und – wie im Falle Luthers – in der ihr eigenen Charakteristik gar nicht angemessen in den Blick kommen. So bleibt zu hoffen, dass das Buch viele Leser findet und dass einige dazu angeregt werden, das Projekt mit der Zielsetzung der wechselseitigen Erhellung historischer und systematischer Forschung zur Trinitätslehre auf die Reformatoren, die Idealisten und viele andere auszuweiten.