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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

739 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Praetorius, Ina

Titel/Untertitel:

Skizzen zur feministischen Ethik.

Verlag:

Mainz: Grünewald 1995. 205 S. 8o. Kart. DM 34,-. ISBN 3-7867-1829-6.

Rezensent:

Frank Crüsemann

Es handelt sich um eine Sammlung von vierzehn allgemeinverständlichen Vorträgen aus den Jahren 1987-1994, von denen die meisten in Teilen bzw. vorläufigen Fassungen bereits andernorts, oft etwas abgelegen publiziert wurden. Etwa die Hälfte gilt grundsätzlichen Fragen einer feministischen Ethik, die andere konkreten Themen, wie Wirtschaft, Sozialarbeit, Ehe und mehrfach der Ökologie bzw. Bioethik.

Zwei Ausgangspunkte finden sich durchgängig und werden immer weiter entfaltet. Der eine ist der in der Heidelberger Diss. der Vfn. "Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1949", Gütersloh 1993, erbrachte Nachweis, der in "Androzentrismus - und wie weiter?" (85 ff.) noch einmal zusammenfassend dargestellt wird, daß "Frauen als Menschen... bis heute nicht Thema der deutschsprachigen protestantischen Ethik" sind (88), und statt dessen das "Konzept ,Mensch'... das Prinzip Männlichkeit auf eine vermeintlich geschlechtsneutrale Ebene" (90) gehoben wird. Dem wird nun ein neuer Ansatz von Ethik gegenübergestellt. Indem statt von einem Abstraktum Mensch von den unterschiedlichen Erfahrungen - besonders von Frauen, aber auch von Kindern, Behinderten etc. - ausgegangen wird, vollzieht sich in der Tat so etwas wie "eine Revolution im theologischen Denken" (86), eine "kopernikanische Wende" (L. Irigaray, 31; 91) für die "denkerischen Grundlagen, aus denen die alltägliche Moral hervorgeht" (9). An immer neuen Fragen und Themen wird das eindrucksvoll vorgeführt und so auch der Leser zu wirklichen Evidenzerfahrungen gebracht.

Mit einer derart veränderten Fragestellung steht die Vfn. - und das ist der zweite durchgängige Ausgangspunkt der Beiträge - im Zusammenhang intensiver Diskussionen um eine feministische Ethik, wie sie besonders in den USA seit den Arbeiten von C. Gilligan (1982, dt. 1984) geführt werden. Vor allem der erste Vortrag "Feministische Forschung in der Ethik" (9 ff.) führt höchst instruktiv in Grundpositionen (vgl. zum feministischen Konsens a. 124 ff.) und -konflikte ein, die in keiner heutigen Ethik-Debatte länger fehlen sollten. In der strittigen Grundfrage, wie sie z.B. in der Debatte um Mittäterinnenschaft verhandelt wird, ob als Reaktion auf die androzentrische Ethik eine spezifisch "weibliche" moralische Perspektive ("caring") möglich und notwendig ist, nimmt sie im Anschluß an S. Ruddick eine vermittelnde Position ein, nach der z.B. "Mütterlichkeit" als "eine, von Frauen und Männern wählbare moralische Perspektive" (130) erscheint. Hier wie auch sonst erweist sich der spezifisch feministische Ansatz als keineswegs nur für Frauen relevant.

Von den Inhalten der Beiträge können nur wenige Beispiele zur Sprache kommen. In "Theologie in der fragmentierten Zeit" (33 ff.) werden die eigensten Erfahrungen und Zeit-Probleme der Vfn. als Mutter eines Kleinkindes, Haus- und Pfarrfrau, die dennoch an theologischen Grundfragen arbeitet, den Möglichkeiten eines - karikierten!? - Professors gegenübergestellt und zugleich in den Kontext der Diskussion um Postmoderne und Dekonstruktivismus gerückt. Sie erscheinen dabei als eine "Chance der (postmodernen?) Theologie in einer Welt, die von ungestörten Denkern kaputtgemacht wird" (46). Geht es hier um Reflexion auf die Bedingungen der eigenen Arbeit, so in den nächsten Beiträgen um Grundfragen. In "Über die materiale Spiritualität der Hausarbeit..." (47 ff.) werden u.a. Luthers Aussagen über niedrige Frauenarbeit als Gottesdienst aufgenommen und mit der Forderung nach "Abschaffung bestimmter Formen von Herrschaft" als "unabdingbare Voraussetzung des weltlichen Gottesdienstes" (54) weitergedacht. In "Macht, die wir haben - Macht, die wir brauchen" (66 ff.) wird ein in der evangelischen Sozialethik sträflich vernachlässigtes Thema aufgegriffen, das in vielen Beiträgen mit im Spiel ist. Es geht um die "ethische(n) Notwendigkeit geteilter Macht" (73). Die Vfn. sieht ihren Standpunkt von traditioneller Ethik, die sie deshalb mit Recht und Süffisanz als "Hofethik" bezeichnet (z.B. 145 ff.), dadurch geschieden, "daß er die Herrschaftsverhältnisse in der Welt kennt und ernst nimmt." (153). Bei der Behandlung konkreter Einzelthemen wird jeweils deutlich, wie weit heutige reale Nöte und gegenwärtige ethische Dilemmata mit der bisheriger Gleichsetzung von Mann und Mensch zusammenhängen. Beim "feministischen Nachdenken über die Wirtschaft" (159 ff.) etwa wird die "Hausarbeit... zum Prüfstein der ökonomischen Begrifflichkeit" (167): Frauen bleiben dann am besten ausbeutbar, "wenn man ihre Arbeit nicht Arbeit, sondern Liebe oder Mütterlichkeit nennt, sie also ökonomisch ab- und moralisch aufwertet" (164).

Der Begriff "Skizzen" im Titel ist sachgemäß. Die Beiträge stellen die Probleme jeweils in einen neuen Rahmen und eröffnen so neue Perspektiven. Vieles wird nur angedeutet, oft genügen wenige Striche. Im Beitrag zu "Streitfall Tierversuche" (132 ff.) kann das eigentliche Thema geradezu ausgespart werden, dennoch erscheint es in einer überraschend neuen Sichtweise. Zum Skizzenhaften gehören die Fülle und Lockerheit, die stilistische Brillanz und die Kombination von Verbindlichkeit und Radikalität. Über sie hinaus reicht neben dem Evidenzcharakter der neuen Sicht der Probleme auch ein Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, der traditionell akademische Formen bewußt - und überzeugend - sprengt. Als Skizzen können die Studien einen Vorschein von ausgeführten Bilder geben, auf sie gespannt machen und dennoch für sich selbst stehen.

Nur skizzenhaft angedeutet ist nun gerade auch das spezifisch Theologische dieser Ethik. Überzeugend ist für mich die Kritik an bisheriger Theologie, auch an solcher, die ansatzweise feministische Ansätze aufnimmt, wie Küngs Projekt Weltethos (119 ff.), oder an synodalen Schuldbekenntnissen im Zusammenhang der Ökologiekrise ("Wir Kinder/ Kleinbäuerinnen/ Hausfrauen haben uns selbst zum Maß der Schöpfung ge-macht..."; 122 f.). Der eigene ethische Ansatz aber steht zu-nächst ganz in aristotelischer Tradition: Es geht um "gutes Leben" für alle und den Weg dorthin (142 f.; 194 f. u.ö.). Explizite biblische Verweise z. B. gibt es, wenn ich recht sehe, nur auf die Vielfalt der biblischen Lebens- und Eheformen (189 ff.), dagegen weder in den grundlegenden Bestimmungen von Ethik noch bei den Maßstäben für das, was als "gut" zu gelten hat, etwa dem durchgängig verwendeten Begriff der Gerechtigkeit. Vieles wird hier offenkundig von gegenwärtigen Frauenerfahrungen her als evident vorausgesetzt. Ich möchte bezweifeln, daß das auf Dauer reicht. Für die theologische Verortung finden sich gelegentlich und verstreut Verweise auf feministische Hermeneutik, auf die Bedeutung der Inkarnation (95; vgl. 97 f.) oder des christlich-jüdischen Dialoges (96). Die Stärke feministischer Exegese dagegen und die Nähe vieler hier vertretener Inhalte zu biblischen Wahrheiten wird von dieser feministischen Ethik bisher wenig genutzt.