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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1275–1276

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerber, Uwe

Titel/Untertitel:

Gottlos von Gott reden. Gedanken für ein menschliches Christentum.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013. 154 S. = Theologisch-Philosophische Beiträge zu Gegenwartsfragen, 14. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-631-64549-9.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Wie noch von Gott reden, wenn der Theismus samt all seiner Derivate genauso tot ist wie der Gott, den er verkündigte? Ebendiese Frage versucht Uwe Gerber, akademischer Rat an der Technischen Universität Darmstadt, in seiner kleinen Studie zu beantworten. Mit einem Plädoyer zur Transformation der Glaubensinhalte in der »Dialektik von Neuankunft und Verabschiedung« (12) wird hier in eine Theologie eingewiesen, die sich als »kritische Wahrnehmungs­lehre« versteht (85).
Was zunächst wahrgenommen wird, ist die Unfähigkeit der Großkirchen zur Selbstaufklärung (86), die sie daran hindere zu erkennen, dass es innerhalb und außerhalb der Theologie längst Stimmen gibt, um ein »gottloses« Reden von Gott einzuüben. Dieses sei nötig, um einerseits auf die Situation der Nachkirchlichkeit und auf das Ende des christlichen Zeitalters zu rea­gieren und um andererseits in einem als tastend, suchend, zweifelnd beschriebenen Versuch einen konstruktiven Weg von Theologie und Kirche diesseits von Indifferenz, Fundamentalismus und blindem Konservieren aufzufinden (11.20).
Der markanteste Zug jenes »gottlosen« Redens ist dessen dezidiert atheistischer Zuschnitt. Auf den Spuren von Dorothee Sölle wird hier folglich eine Theologie skizziert, die den »Atheismus« als klärende Selbstbezeichnung akzeptiert und dabei dieses Etikett analog zur »Gottlosigkeit« des Glaubens adoptiert (7). Was G. allerdings unter »atheistisch« versteht, schillert zwischen unterschiedlichen Konnotationen: Atheismus ist in seiner kritischen Zuspitzung A-Theismus als Verabschiedung eines jenseitigen, für sich existierenden, unmittelbar erfahrbaren und moralaffinen Gottes zu verstehen. Die (pro)grammatische Vorderseite jenes goodbye nimmt entsprechend divergente Formen an: Atheismus als Einsicht in den Tod des metaphysischen Gottes; als theologische Lehre von einem Gott, der in seinem Handeln pro nobis gedacht wird; als Kritik der (auch mystischen oder negativ-theologischen) Epistemologisierung der Gotteserkenntnis, um von Gott nur noch mittelbar zu sprechen; und schließlich als Abweisung einer Dogmatik, die Gott zum Moral- und Sozialgott verkitscht (12 f.72. 145).
Neben diesen inhaltlichen Bestimmungen schimmern vier formale Auskünfte zum Label des Atheistischen durch (besonders 86–88): Erstens sei es ein an Beziehungen orientiertes Nachdenken. Da das Christentum eine Inkarnationsreligion sei (11 f.), gehe es nicht um einen von der kenosis ablösbaren Gott, sondern das Christliche bleibe auf das menschliche Zusammenleben bezogen. Dabei er-eigne sich Gott »wie ein für mich nicht verfügbares Echo zwischen anderen Menschen und mir, auch in Begegnungen mit der Natur« (14), aber zugleich als »distanzierende Kraft unserer Beziehungen« (64). Zweitens entwirft sich dieser Theologietyp alteritätslogisch. Gott sei Ausdruck der sich entziehenden Andersheit, näherhin Inbegriff der Anwesenheit des Abwesenden und der unauflöslichen Paradoxie des Selbstentzugs als Modus der mittelbar widerfahrenden Präsenz (8.31). Drittens versteht sich die atheistische Theologie als ein dekonstruktives Unternehmen. Damit ist weniger eine Weise der am subtilen Bruch interessierten Abtragung gemeint als die Betonung des Prozesshaften jenes Denkens gegenüber der dogmatischen Statik (87). Viertens erkennt G. in diesem Projekt die Fortführung des lutherischen sola fide, wobei es nicht um den christlichen Glauben als solchen gehe, sondern um den christlich gedeuteten Glauben (56.119). Damit scheint die mehrfach angespielte Dimension des interreligiösen Dialogs in einem familienähnlichen Glaubensbegriff lokalisiert zu werden (11 f.).
Was G. engagiert und im Gespräch mit neuerer Belletristik, ­kritischer Phänomenologie und Hermeneutischer Theologie präsentiert (besonders 100–107), ist so bedenkenswert, wie die Ausführung an erheblichen Mängeln leidet. Selbst von einer knappen Streitschrift darf verlangt werden, dass der Autor beim Thema bleibt, um den Leser zum nächsten Schritt der Argumentation mitzunehmen. Einmal abgesehen davon, dass wesentliche Begriffe – etwa der des Paradoxes (114.144) – unklar bleiben, springt G. immer wieder un­vermittelt von einer dogmatischen Baustelle zur nächs­ten. So taucht plötzlich die Theodizee-Problematik auf, wo we-nige Zeilen zuvor noch vom Christentum als Religion der Beziehung die Rede war (121 ff.). Zudem versandet der Text oftmals im bloßen Anzitieren von Sekundärquellen, deren Einordnung ausbleibt. Zu einer Theologie als »kritischer Wahrnehmungslehre« müsste auch die mindestens ebenso kritische Selbstwahrnehmung gehören.