Buch des Monats: Dezember 2012

Blum, Ehrhard

Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten. Hrsg. v. Wolfgang Oswald
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Tübingen: Mohr Siebeck 2010. VIII, 416 S. = Forschungen zum Alten Testament, 69. Lw. EUR 99,00. 23,0 x 15,5 cm. ISBN 978-3-16-150306-1.

Wer sich über Fragen der Pentateuchentstehung orientieren möchte, stößt schnell auf den Namen Erhard Blum. In zwei großen Monographien („Komposition der Vätergeschichte“ 1984, „Studien zur Komposition des Pentateuch“ 1990) hat er vorgeführt, dass die Probleme des klassischen Quellenmodells (Wellhausen u. a.) und der überlieferungsgeschichtlichen Forschung (im Anschluss an Martin Noth) durch eine sowohl synchrone wie diachrone Beschreibung von Gen–Dtn überwunden werden können. Seine Ergebnisse einer Rekonstruktion der prägenden literarischen Schichten der fünf Bücher Mose haben hohe Anerkennung erfahren und werden intensiv diskutiert. Dies hat vor allem damit zu tun, dass Blum klar und zugänglich zur Überprüfung des wissenschaftlichen Erkenntnisvorgangs einlädt. Der vorliegende Band dokumentiert 16 ausgewählte Einzelstudien zu zentralen Fragen der Pentateuchentstehung im größeren Kontext der Geschichtserzählungen des Alten Testaments sowie zur Komposition von Jos–2Kön („Vordere Propheten“). Die Beiträge führen an wichtigen Texten (kompositionsgeschichtlichen „Knotenpunkten“) wie Gen 2–3; 28,10–22; Ex 3–4; Ex 13–14 in die für Außenstehende oft nur schwer nachvollziehbare gegenwärtige Diskussion ein. Wer sich über Eigenart, Reichweite und Grenzen derzeitiger Hypothesen informieren möchte, wird das Buch mit reichem Gewinn lesen. Drei Beiträge möchte ich exemplarisch hervorheben:
Ein längerer Aufsatz von 2002 widmet sich dem durch die Arbeiten von Konrad Schmid und Jan-Christian Gertz in den Blick genommenen literarischen Übergang zwischen Gen und Ex (85–121). Blum modifiziert hier den Umfang und die Eigenart seiner 1990 angenommenen vorpriesterlichen Komposition KD auf „die Geschichte Moses zwischen Ex 1 und Dtn 34“ (120). Die Vätererzählungen der Genesis wären als dazu komplementäre Ursprungserzählung erstmals durch die priesterliche Komposition KP mit dem Beginn von Ex verbunden worden. Man bekommt hier wichtige Argumente vorgeführt, warum die klassische Urkundenhypothese (mit zwischen Gen und Ex durchlaufenden Erzählfäden) nicht mehr als tragfähig angesehen wird.
In einem Beitrag von 1991 fragt Blum „Gibt es eine Endgestalt des Pentateuch?“ (207–217). Er verdeutlicht den notwendigen, aber stark vereinfachenden Begriff der „Endgestalt“, der allenfalls im Plural verwendet werden sollte. Dennoch bleibt in einem erkenntnistheoretischen Sinn („Bedingung der Möglichkeit exegetischer Urteilsbildung“ [217]), die Annahme einer Endgestalt „ein notwendiges Postulat der exegetischen Vernunft“ (ebd.). Im Licht von modernen literaturwissenschaftlichen Überlegungen plädiert er für ein Festhalten an der Aussageintention der Texte, die auch für die antik überlieferte(n) Gestalt(en) der hebräischen Bibel gelten müssen, allerdings nicht als „einheitlicher Gestaltungswille“ eines „Endredaktors“, den es nie gegeben hat, sondern als Wahrnehmung des sich verändernden Sinnpotentials der Texte in ihrem Wachstum.
Der Schlussbeitrag von 2007 widmet sich in ähnlich weiterführender Weise dem Zusammenhang zwischen Pentateuch und Vorderen Propheten (Noths DtrG). Er fragt nach Kriterien für die Identifikation eines „literarischen Werkes“ in der hebräischen Bibel (375–406). Hier geht es vor allem um das Konzept einer auf Mose zurückgeführten Tora als Buch, die „seit dem Deuteronomium zum genetischen Code dieser Ursprungsüberlieferung“ gehört hat (402). Die Idee der fünf Bücher Mose, auf die sich die folgende Geschichtsüberlieferung zurückbezieht (vor allem im Buch Jos), wäre dann nicht durch spätere Herauslösung aus Gen–2 Kön entstanden, sondern mit dem Dtn in den Pentateuch gekommen. Das Dtn war ursprünglich „der autarke Anfang eines Werkes“ (401), das mindestens noch Jos umfasst hätte. Der kompositorische „Gelenkcharakter“ des Dtn zwischen Pentateuch und Geschichtsbüchern bestätigt sich.
Wie es die Beispiele zeigen, bieten die Aufsätze von Erhard Blum in jeder Hinsicht Stoff für die eigene Urteilsbildung. Mehr kann man von einem exegetischen Werk nicht verlangen.

Friedhelm Hartenstein (München)

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