Buch des Monats: April 2011

Etzelmüller, Gregor, u. Annette Weissenrieder [Hrsg.]

Religion und Krankheit

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. 334 S. m. Abb. gr.8°. EUR 59,90. ISBN 978-3-534-22244-5.

»Krankheit« (bzw. Gesundheit) ist ein Mega-Thema in der Gegenwart – und ist es wohl auch in der Vergangenheit gewesen. Lange Zeit war Krankheit bzw. »Heilen« ein wichtiger Gegenstand der Theologie. Das hat sich geändert. Der Siegeszug der naturwissenschaftlich begründeten Medizin hat das Thema auf technische Hantierungen reduziert. Die lange Tradition der Pastoralmedizin ist zum Erliegen gekommen (letztmals in Deutschland, aber schon merkwürdig unzeitgemäß: Adolf Allwohn, Evangelische Pastoralmedizin. Grundlegung der heilenden Seelsorge, Stuttgart 1970). In der pastoralen Praxis sieht es aber anders aus. Krankheit ist ein wichtiges Thema der Seelsorge; langsam werden sogar in den deutschen Kirchen Erfahrungen aus der Ökumene mit healing rites aufgenommen. Doch sind schon längst nicht selten zweifelhafte Formen der Heilung in die entstandene Lücke getreten.
In dieser Situation ist der Sammelband von Etzelmüller und Weissenrieder ein wichtiger Fortschritt. Ermöglicht durch den Klaus-Georg und Sigrid Hengstenberger-Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Heidelberg konnte 2008 ein Symposion zum Thema »Religion und Krankheit« abgehalten werden. An ihm beteiligten sich Theologen, Islamwissenschaftler, Mediziner, Medizinhistoriker, Psychologen, Philologen, Gerontologen und Religionswissenschaftler. Die insgesamt 18 Beiträge sind in fünf Rubriken aufgeteilt und zeigen den breiten Horizont der Verhandlungen: »Religion, Krankheit und Krankenbehandlung. Annäherung an das Thema aus theologischer, medizinischer und gerontologischer Perspektive«; »Religion, Krankheit und Krankenbehandlung bei Galen und im Islam«; »Religion, Krankheit und Krankenbehandlung in der asiatischen Heilkunde«; »Religion, Krankheit und Krankenbehandlung im Alten Testament und im Judentum«; »Religion, Krankheit und Krankenbehandlung im Christentum«.
Sorgfältig werden vor allem historische Einsichten zu früherem Umgang mit Krankheit in verschiedenen Kulturen und Religionen rekonstruiert. Dabei bemühen sich die Autoren und Autorinnen um ein hermeneutisch reflektiertes Vorgehen, das den historischen bzw. kulturellen Abstand nicht überspringt, aber die Frage nach den »Kriterien für eine lebensfördernde Koppelung von Religion und Krankenbehandlung« (Werner Kahl, Zur Bezeugung und Bedeutung frühchristlicher Wunderheilungen in der Apostelgeschichte angesichts transkultureller Übergänge, 250-264, 250) nicht aus dem Blick verliert.
Die Fülle der hierzu beigebrachten interdisziplinären Perspektiven, Einsichten und Fragen ist groß und lädt zur Weiterarbeit ein, nicht zuletzt auf dem nur durch einen liturgiewissenschaftlichen Beitrag vertretenen Gebiet der Praktischen Theologie. Deutlich wird auf jeden Fall, dass Religion nicht nur eine individuelle Ressource für den Umgang mit konkreter Krankheit darstellt, sondern Deutungsmöglichkeiten eröffnet, die weit über ein reduktiv naturwissenschaftliches Weltbild hinausreichen (ohne dies aber beiseite zu schieben). Die Lektüre lohnt sich so nicht nur für Theologen und Religionswissenschaftler, sondern auch für Mediziner.

Christian Grethlein (Münster)

Weitere Bücher