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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

443-454

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Ralf K. Wüstenberg

Titel/Untertitel:

Der große Impulsgeber


Akzente in der Dietrich-Bonhoeffer-Forschung

»Billige Gnade«, »Mündige Welt«, »Gott als Lückenbüßer« – griffige Formulierungen, die Impulse für Theologie und Kirche liefern, zugleich aber zum »Steinbruch«1 für eine eklektische Rezeption der Theologie und Ethik Bonhoeffers wurden. Kaum ein Theologe des 20. Jh.s wird so häufig für die eigenen Anliegen herangezogen, ja instrumentalisiert wie Dietrich Bonhoeffer. Er wird von Befreiungstheologen genauso in Anspruch genommen wie von pietistischen Gruppen oder Evangelikalen. Er wird von Kirchenkritikern ebenso gern zitiert wie von Kirchenleitungen. Die Gründe dafür sind vielfältig: erstens die theologische Bandbreite seines Werks, die sich nur mit einigem intellektuellen Aufwand konsistent denken lässt; zweitens die Fragmentarität vieler seiner Texte: Nur etwa ein Fünftel hat Bonhoeffer selbst zur Veröffentlichung gebracht, anderes ist unabgeschlossen geblieben und erst posthum ediert worden; drittens und vielleicht vor allem sein konsequenter Lebensweg und der frühe, gewaltsame Tod. Bonhoeffer ist Impulsgeber, aber zugleich in der Gefahr der vereinseitigenden Instrumentalisierung sowohl seines Lebenszeugnisses als auch seiner Theologie. Sein 110. Geburtstag im Frühjahr 2016 lädt zu Rückblick und Vorschau gleichermaßen ein: zu einer Sichtung der Forschungslandschaft, zur Akzentuierung aktueller Strömungen und zur Begründung der These, warum Bonhoeffer nach wie vor Im­pulsgeber für Theologie und Kirche ist. Zunächst soll im Sinne einer Informationsleistung die Forschungslandschaft zur Theologie, Biographie und Ethik Bonhoeffers skizziert werden. Beabsichtigt ist im Anschluss an diese Mindmap kein eigenständiger Literaturbericht, wie er vergleichsweise in den Überblicken zur Bonhoefferliteratur der 1950er 2, der 1980er3 oder der 1990er4 Jahre vorliegt; beabsichtigt ist, exemplarisch Rezeptionslinien im 21. Jh. weiterzuverfolgen und deren Akzente an aktuellen Debatten bzw. Kritiken zu konturieren. Im letzten Abschnitt soll die Frage aufgenommen werden, worin Bonhoeffer heute Impulsgeber ist.


I Mindmap zur Forschungslandschaft

Von Beginn an bezeichnend war die ökumenische Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffer. Die Internationalität ist vor allem das Verdienst Eberhard Bethges, der früh durch Reisen im englischsprachigen Raum Dietrich Bonhoeffer bekannt machte. Dies zunächst in England und in den USA, und dann bereits in den 1970er Jahren etwa in Südafrika, wo sich der Einfluss seiner Theologie auf die Antiapartheid-Bewegung auswirkte und bis ins Kairos-Dokument von 1985 Spuren hinterließ.5 Mehr oder weniger organisierte Dietrich-Bonhoeffer-Gesellschaften bildeten sich weltweit; 1994 wurde ein Stiftungslehrstuhl mit Geldern aus Deutschland und den USA am Union Theological Seminary in New York City eingerichtet. Neuere Ergebnisse aus der Bonhoeffer-Forschung werden auf den seit 1976 in Genf6 im Vierjahres-Rhythmus veranstalteten Internationalen Dietrich-Bonhoeffer-Kongressen diskutiert, zuletzt Sigtuna 2012,7 Prag 2008,8 Rom 2004,9 Berlin 2000.10 Sozialethische Fragen werden akzentuiert bei den jährlichen Dietrich-Bonhoeffer-Vorlesungen11, zuletzt Flensburg 2015,12 Vancouver 2014,13 Berlin 2013.14 Auch die Internationalen Bonhoeffer-Colloquia (IBC) tragen zur wissenschaftlichen Bearbeitung des Erbes Dietrich Bonhoeffers bei, zuletzt Zürich 2014,15 Flensburg 2012,16 Mainz 2011.17 Die ökumenische Verbundenheit erwächst zum einen direkt aus der Internationalität; eine Vielzahl an Konfessionen und Denominationen bemüht sich weltumspannend18 um das geistige Erbe Bonhoeffers. Interessant ist auch, dass von Beginn an evangelische wie katho-lische Perspektiven die Interpretation des Werkes Bonhoeffers be­stimmten.19 Das in mehrere Sprachen übersetzte Standardwerk zur Theologie Bonhoeffers des 2013 verstorbenen Ernst Feil20 sei hier nur als ein Markstein genannt.

Die Literatur zur Theologie und Ethik Dietrich Bonhoeffers ist weitläufig, ja uferlos, und einen der erfreulichen neuen Akzente wird man bereits darin erblicken, dass gegenwärtig bei Weitem mehr an Fachliteratur zu Dietrich Bonhoeffer erscheint als in vergleichbaren Zeiträumen in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s.21 Einer der Gründe hierfür wird in der zwischen 1986 und 1998 entstan-denen Edition der historisch-kritischen »Dietrich-Bonhoeffer-Wer­ke«22 zu erblicken sein, die in einer editorischen Großleistung bis 2011 auch englisch als »Dietrich-Bonhoeffer-Works«23 mit eigen­ständigen Akzenten der angloamerikanischen Herausgeber erschienen ist. Die kritische Gesamtausgabe hat die Quellenlage nachhaltig verbessert und die deutsch- wie englischsprachige Forschung auf neue Füße gestellt, ja man wird von einer Zäsur in der Erforschung von Theologie und Ethik Dietrich Bonhoeffers sprechen dürfen. Vorbehalte, die sich gegenüber der Quellenlage und Edition von Bonhoeffer-Schriften noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jh.s hielten, sind fast völlig verstummt. Eine neue Generation an jungen Bonhoeffer-Forschern geht weltweit mit frischem Blick an das Werk Dietrich Bonhoeffers. Die hochkarätige theologische Forschung hat keine Berührungsängste mehr mit dem Theologen und Widerstandskämpfer. 24

II Akzente in der gegenwärtigen Dietrich-Bonhoeffer-Forschung


Jeder Versuch, Akzente zu setzen, muss auch angesichts der Literaturfülle notwendig eklektisch bleiben. Es wird an dieser Stelle darum gehen, exemplarisch Rezeptionslinien im 21. Jh. weiterzuverfolgen. Die Stichworte lauten: Kontinuität (von E. Bethge bis C. Tietz) statt Diskontinuität (von H. Müller bis E. Metaxas) in der Gesamtinterpretation seines theologischen Schaffens; neue Interpretationen, die die Konsistenz in Bonhoeffers Theologie am Beispiel der Philosophierezeption unterstreichen (F. Barth, P. Frick, J. Zimmermann); ethische und politische Theologie, auch angesichts des Vorbehalts der Politisierung und Moralisierung des Christ-lichen (E. Jüngel, M. Beintker) sowie aktuelle Tendenzen in der Sä­kularisations- und Religionsthematik (M. E. Marty, J. de Gruchy, C. Tietz).

1. Zäsur oder Kontinuität in der Gesamtinterpretation seines Werkes?


Die Frage nach einer geschlossenen Gesamtinterpretation des theologischen Schaffens Bonhoeffers ist eine Rezeptionslinie, die sich bis in aktuelle Arbeiten hinein durchzieht. Dabei wird aktuell die Bruchlinie in der Theologie Bonhoeffers, ja eine Zäsur, nicht mit seinen Gedanken zur Religionslosigkeit aus der Tegeler Ge­fängniszelle 1943/44 gesehen, sondern mit seinem ersten Amerikaaufenthalt 1930/31. Exemplarisch hierfür steht die Biographie von Eric Metaxas25 aus dem Jahr 2010. Metaxas, ein amerikanischer Journalist mit deutschen Wurzeln, will jedes liberale Element aus Bonhoeffers Theologie ausgeschieden wissen. Er zeigt uns Bonhoeffer als einen Christen, der während seines ersten USA-Aufenthaltes wiedergeboren wurde und leidenschaftlich gegen jede liberale Theologie stritt, insbesondere die des Union Theological Seminary in New York. Dass Bonhoeffer dort aber Weggefährten fand, die ihn theologisch entscheidend prägten, bleibt genauso bedeutungslos wie dies, dass Bonhoeffer von sich selbst noch aus der Tegeler Gefängniszelle schreibt, er trage »das Erbe der liberalen Theologie in sich« 26. Metaxas ist nur ein Beispiel, wie die Frage der Kontinuität und Diskontinuität sich als Linie in der Bonhoeffer-interpretation bis in die Gegenwart durchzieht. Eine Kontinuität im theologischen Denken Bonhoeffers anzunehmen, hat sich in­dessen als Grundlinie in den deutschsprachigen Biographien des 21. Jh.s mit unterschiedlichen Akzentsetzungen durchgesetzt. Erwähnt seien exemplarisch die Biographie von Ferdinand Schlingensiepen,27 die in mehrere Sprachen übersetzt wurde, sowie aus jüngerer Zeit die Biographie von Christiane Tietz.28

Diese Rezeptionslinie knüpft an Eberhard Bethge29 an, der zuerst die Frage von Kontinuität und Diskontinuität im Leben Dietrich Bonhoeffers thematisierte und dabei Übergänge, Neuansätze, Akzentuierungen feststellte, nicht aber Zäsuren oder Brüche. Manche Selbstreflexionen Bonhoeffers scheinen eine innere Bewegung, ja einen Werdegang zu beschreiben. Aus der Tegeler Gefängniszelle schreibt Bonhoeffer aber rückblickend: »Ich habe mich, glaube ich, nie sehr geändert« (DBW 8, 397). Einschlägig erscheint auch die Überlegung, dass bereits vor seiner Entdeckung der Bergpredigt und ihrer politischen Bedeutung während des USA-Aufenthalts 1930/31 große Kontinuitäten in thematischer Hinsicht erkennbar sind. Bonhoeffer selbst nennt das Thema Kirche, das ihm seit dem Rom-Aufenthalt wichtig geworden war. In der Forschung wird immer wieder auch auf die Christologie hingewiesen. Die Diskussion um Kontinuität und Diskontinuität wurde forschungsgeschichtlich vor allem an der Zuordnung der Gedanken Bonhoeffers über ein religionsloses Christentum aus der Gefängniszelle von Tegel zum Gesamt seiner Theologie festgemacht. Auf der einen Seite vertraten der Ost-Berliner Theologe Hanfried Müller sowie eine Reihe angelsächsischer Theologen der 1960er Jahre (wie W. Hamilton oder J. Robinson) eine harte Diskontinuität. Müller sprach von »qualitativen Sprüngen« und »Widersprüchen« 30 in der Theologie Bonhoeffers und wollte die radikalen Gedanken der Tegeler Theologie anschlussfähig machen für eine sozialistische Rezeption Bonhoeffers in einer vermeintlich »religionslosen« DDR.31 Angelsächsische Theologen sahen in seiner Rede vom Leben »ohne Gott« in Bonhoeffer einen Vertreter der »Gott-ist-tot-Theologie«. Auf der anderen Seite standen Eberhard Bethge, Ernst Feil und eine große Reihe andere Bonhoeffer-Inter-preten weltweit, die seine Theologie durch große Kontinuitäten, besonders in chris­tologischen Grundentscheidungen, bestimmt sahen.

2. Konsistenz von Bonhoeffers Theologie?


Verwandt mit der Frage von Kontinuität und Diskontinuität ist die nach der Konsistenz von Bonhoeffers Theologie. Der intellektuellen Herausforderung, die darin besteht, dass Bonhoeffers »eigentliche Stärke« möglicherweise nicht in der »theologischen Systematik« (Karl Barth)32 lag, wird eindrucksvoll in neueren Studien be­gegnet. Hier wird eine Rezeptionslinie aufgenommen, wie sie im Bemühen um die innere Konsistenz der Theologie Bonhoeffers zuerst durch Ernst Feil33 eingeleitet wurde. In jüngerer Zeit stechen wissenschaftliche Einzeluntersuchungen zu den Früh- und Spätwerken Bonhoeffers hervor,34 zum Teil im Querbezug auf Karl Barth.35 Daneben sind, und das ist auch vom Genre her neu, zwei Sammelbände erschienen, die kompendienartig die Einflüsse von Theologie und Philosophie auf Bonhoeffer analysieren, wobei je die Konsistenz seines Gesamtentwurfs durchscheint.36

Exemplarisch soll sehr knapp auf eine Monographie eingegangen werden. Friederike Barth beleuchtet in ihrer – im Jahr 2011 mit dem Bonhoeffer-Preis bedachten – Arbeit zur »Wirklichkeit des Guten«37 die Ethik-Fragmente in philosophischer Perspektive und zeigt brillant die Konsistenz seiner Ethik auf. Dabei beeindruckt besonders die Fülle an Details und Exkursen sowie die zahlreichen rezipierten Philosophen, die F. Barth als Hintergrund Bonhoeffers aufdeckt und beschreibt. Zunächst werden die erkenntnistheoretischen Grundlagen, auf denen seine Ethik fußt, geklärt. Hierfür wird das Ethik-Fragment »Die Liebe Gottes und der Zerfall der Welt« – vermutlich das Kapitel, welches Bonhoeffer als Einleitungskapitel für sein Werk vorgesehen hat – herangezogen. Barth untersucht Bonhoeffers Hegel-, Kierkegaard-, Dilthey- und Nietzsche-Rezeption und beleuchtet, inwieweit der kritische Umgang Bonhoeffers mit diesen Philosophen einen konstruktiven Eingang in sein Konzept einer christlichen Ethik gefunden hat. Es zeigt sich, »dass hier eine sehr geschlossene, sehr subtile und zugleich klar positionierte theologische Anthropologie, einschließlich einer Sündenlehre, entworfen wird, ohne deren Kenntnis die gesamte ethische Konzeption nicht erschlossen werden kann« (392). Bereits in diesem grundlegenden Abschnitt der Arbeit wird deutlich, dass Bonhoeffers Rezeption durchweg von einem christozentrischen Standpunkt aus geschieht. Von daher lässt sich dann auch die durchweg kritische, aber dennoch produktiv verarbeitende Lesart Bonhoeffers erklären. Die Thematisierung der Verantwortung führt F. Barth abschließend zur Frage nach den konkreten »Formen des Guten« (315–390) und damit zur konsistenten Deutung der Mandatelehre. Die Mandate (Staat, Ehe, Arbeit, Kirche) stellen »geschichtliche Strukturen« (353) der menschlichen Existenz in umfassender Weise dar. Sie be­gründen sich in Christus und sind auf ihn hin ausgerichtet, so dass sie der »Wirklichkeitsgemäßheit« der konkreten, dynamischen Welt dienlich sind.

3. Politisierung und Moralisierung des Christlichen?


Eine andere thematische Grundlinie, die Gegenstand der jüngeren Diskussion in der Bonhoeffer-Forschung war,38 ist die der politischen Theologie. Kaum ein anderes Feld der Bonhoeffer-Beschäftigung steht mehr im Fokus der Kritik. Zwar werde etwa in der Un­terscheidung zwischen den »letzten und vorletzten Dingen« jede politische Ethik »soteriologisch entlastet« (H. Rosenau),39 doch käme es gelegentlich bei Bonhoeffer zur »Konfusion der Beziehungsebenen« (M. Beintker),40 wo es um die Kreuzestheologie geht; ja es gelte, den »Primat der Gnade Gottes gegenüber der moralischen Selbstverwirklichung des Menschen« zu wahren (E. Jüngel).41

Solche und andere Einwände sind präsent, wo Ergebnisse zur politischen Theologie in der Bonhoeffer-Forschung diskutiert werden. Auf dem XI. Internationalen Bonhoeffer-Kongress wurden 2012 fundamentale Fragen bewegt: Ist Bonhoeffers Theologie überhaupt eine »politische Theologie«? Und wenn ja, was würde das im Einzelnen bedeuten? Wie versteht der lutherisch geprägte Theologe Bonhoeffer zentrale Fragen politischer Ethik, wie die nach der Begründung von Widerstand, nach dem Staat, nach der Demokratie und überhaupt politischem Handeln? Wie werden theologische Fragen wie die nach Kirche, Religion oder christlicher Ethik bei ihm mit den genannten politischen in Beziehung gebracht? Welche Perspektiven eröffnen sich über Bonhoeffers Theologie für gegenwärtige gesellschaftliche Diskurse zur politischen Theologie?

Die Vielheit der Fragen und die Pluralität der gegebenen Antworten verweisen auf die Komplexität auch gegenwärtiger Debatten um eine politische Theologie. Bonhoeffer wird im Interpretationshorizont von John Howard Yoder42, Stanley Hauerwas43, Larry Rassmussen44 und Robin Lovin45 diskutiert; dabei zeichnet sich eine Zurückhaltung gegenüber der Gleichsetzung von Demokratie und Christentum in Bonhoeffers politischer Theologie ab46 sowie die Tendenz, soteriologische und ethische Kategorien bei Bonhoeffer klar zu unterscheiden47 und der Unumkehrbarkeit der christologischen Interpretationsrichtung von Person und Werk Rechnung zu tragen.48

4. Neue Tendenzen in der Säkularisations- und Religionsthematik?


»Mündigkeit«, »Religionslosigkeit«, »Lückenbüßer Gott« sind Be­griffe, die nicht selten ›steinbruchartig‹ (C. Tietz) aus der Theologie Bonhoeffers herausgelöst werden. Hier wird das eingangs genannte Problem der Fragmentarität besonders virulent. Vor allem in dogmatischen Entwürfen49 wurde kritisiert, dass Bonhoeffer mit seiner Vorhersage der Religionslosigkeit geirrt habe (W. Härle, W. Kreck, D. Lange);50 auch die Formel »Mensch für andere« sei »irreführend« (W. Pannenberg),51 weil sie zur »Verwechselbarkeit mit einem säkularen Humanismus« führe. Es wird andererseits gewürdigt, dass durch Bonhoeffers Arbeiten der Säkularisierungsprozess »aus der Perspektive des christlichen Glaubens in seiner Berechtigung erkannt« wird (Chr. Schwöbel).52 Bonhoeffers These von der Mündigkeit der Welt (und der Nichtnotwendigkeit eines Lückenbüßer-Gottes) findet weitgehend Zustimmung, worin sich eine Rezeptionslinie aus den 1980er Jahren wiederfindet.53

Die Forschungsgeschichte von »Widerstand und Ergebung« im engeren Sinne zeichnete jüngst der amerikanische Theologe Martin E. Marty54 nach. Marty sieht resümierend den Erfolg der Gefängnisbriefe einerseits in der hohen exis­tentiellen Aussagekraft begründet, andererseits in der ganz untheologischen Darstellungsform. Eindrucksvoll bestätigt Marty (gegen die Großzahl der Rezipienten) die Kontinuitätsthese: Nicht eine »Zäsur« präge das Denken Bonhoeffers, sondern eine Kontinuität in christologischen Fragen. Die nichtreligiöse Interpretation (mit Gerhard Ebeling) 55 als christologische Interpretation verstehen,56 stellt Martys Forschungsabriss in große Kontinuität mit der Bonhoeffer-Forschung im 20. Jh. Nachdrücklich bestätigt Marty diese Auslegungslinie einer christologisch bestimmten Theologie des Lebens57 gegen irrige Auffassungen, die Bonhoeffer, der eine religionslose Zeit voraussagt, entweder als »Atheisten« (A. MacIntyre)58, als »Säkularen« (A. Loen)59 oder gar als Vater der »Gott-ist-tot-Theologie« (W. Hamilton, J. Robinson)60 bezeichneten.

Dass Bonhoeffer nicht »zur Selbstsäkularisierung des Protestantismus« (C. Gremmels)61 beizutragen beabsichtigte, unterstreichen neue Tendenzen in der Bonhoeffer-Forschung.62 Einerseits entlarven Bonhoeffers Gedanken zur Mündigkeit der Welt einen christlichen Fundamentalismus, der die Eigenständigkeit der Welt verneint. Andererseits kritisieren seine »Überlegungen die säkularistische These, dass der Eigenwert der Welt und die intellektuelle und ethische Autonomie des Menschen nur anhand der Abschaffung von Gott und Religion gesichert werden können.«63 In diesem Zusammenhang bleibt Bonhoeffers »christlicher Humanismus« unterscheidbar von einem säkularen Humanismus. Gegenüber Säkularismus und Fundamentalismus bietet »Dietrich Bonhoeffers christologisch fundierter christlicher Humanismus eine theologische Alternative an, indem er a) den Glauben als Teilnahme an Christus bestimmt und damit seinen grundsätzlich hermeneu-tischen Charakter herausstellt und b) in der Inkarnation eine in­nerste Verbindung zwischen Kirche und Menschheit bzw. der Welt erkennt.« 64

III Große Impulsgeber?


Vieles spricht dafür, dass man sich in der Bonhoeffer-Forschung ohne Vorbehalte Karl Barths Diktum nach der fehlenden Gesamtsystematik anschließen darf. Bonhoeffer ist ein Impulsgeber, kein regulärer Dogmatiker. Und ich erlaube mir den Zusatz: Er ist ein großer Impulsgeber – groß im Sinne der Vielfalt und Wirkmächtigkeit der Impulse, die von seiner Theologie und seinem Lebenszeugnis ausgehen.

Als Impulsgeber zu dienen, birgt immer auch die Gefahr der Instrumentalisierung. Wer kein geschlossenes Gesamtwerk hinterlässt, dem droht die eklektische, steinbruchartige Rezeption, ja Ausbeutung des fragmentarisch gebliebenen theologischen Entwurfs. Wer ein vorbildliches Leben wie Bonhoeffer geführt hat, ja ein beispielhaftes Glaubenszeugnis ablegt, dem droht die ambivalente Interpretation seines Lebens bis hin zur Heiligenverehrung. In der Spannung zwischen Impulsgeber und Instrumentalisierung bewegt sich jede Rezeption seiner Theologie und seines Lebens. Es wird darum gehen, zunächst diese Spannung in aller Nüchternheit anzuerkennen, um dann aber konstruktiv Impulse aus seinem Leben wie aus seiner Theologie aufzunehmen.

Zwei Grundimpulse sollen abschließend genannt werden: Erstens beeindruckt an Dietrich Bonhoeffer bleibend der innere Zusammenhang zwischen Lebensgeschichte und Theologie: sein Lebenslauf, der ihn zu einem Glaubenszeugen in einem besonderen Sinne des Wortes gemacht hat. Zweitens hat Bonhoeffer nicht erst durch ein vorbildliches Leben, sondern durch sein theologisches Werk, das auch im 21. Jh. Anregungspotential und Orientierungskraft enthält, nachhaltig Impulse gegeben. Ein erster Impuls geht m. E. nach wie vor von Bonhoeffers Leben aus; ein zweiter von seiner theologischen Interpretation mündigen Lebens.

1. Bonhoeffers Leben als vorbildhaftes Glaubenszeugnis und bleibende Inspiration

Bereits aus der oben skizzierten Mindmap der Bonhoeffer-Forschung deutet sich an, wie vor allem im englischsprachigen Ausland zunächst Bonhoeffers Leben Rezeptionsinteresse fand. In den neueren und neuesten Veröffentlichungen aus Amerika wird allerdings die Tragweite der Problematik sichtbar. Der amerikanische Theologe Stephen Haynes spricht vom »Bonhoeffer-Phänomen« und sieht in Teilen der englischsprachigen Literatur das »Porträt eines Heiligen«65 gezeichnet. Im zitierten Buch von Metaxas tritt die Theologie fast ganz zurück zugunsten einer evangelikalen Heiligenlegende. Auch in der jüngsten auf Deutsch erschienenen Bonhoeffer-Biographie von Charles Marsh66 »steht die story im Mittelpunkt«67. Aber mehr noch: Die Quellen strapazierend und zurechtbiegend, versucht Marsh seine Bonhoeffer-story noch mit einem Enthüllungsskandal zu schmücken.68

Dabei kann, recht verstanden, Bonhoeffers Lebenszeugnis nach reformatorischem Verständnis durchaus Vorbild sein, ja er im be­stimmten Sinne auch Heiliger. Denn heilig ist im evangelischen Verständnis jemand, der für andere zum Vorbild im Glauben wird.69 Der Impuls, der von Bonhoeffer aufzunehmen wäre, zielt dabei nicht auf eine Imitation des Vorbilds, sondern auf ein Lernen im Glauben und ein Mündigwerden im Handeln. Dazu zählt, dass Bonhoeffer auch seine eigenen Schwächen nicht verdrängt hat: seine Angst in der Haft, seine Depression, seine Wut. Weiter zählt m. E. hierzu, dass er zu einer gelebten Spiritualität70 ermutigt hat, zu der auch die Beichtpraxis71 gehört und die einmal mehr zeigt, wie Bonhoeffer das Thema Spiritualität akzentuierte: Es hat nämlich zu tun mit Wagnis, Disziplin, Gehorsam. In diesen Zusammenhang müsste auch der Impuls von der »billigen Gnade« gerückt werden. Denn Gnade ist erst bzw. nur dann »teuer«, wenn sich der Mensch des aus der Gnade resultierenden Anspruchs Gottes auf ihn gewahr wird und sein Leben von diesem Anspruch bestimmt sein lässt.

Bleibend inspirierend ist Bonhoeffer als ebendieses Glaubenszeugnis. Ob hierzu der Begriff des Heiligen strapaziert werden muss, möchte ich offenlassen.

2. Bonhoeffers theologische Interpretation von mündigem Leben


Ein erster Impuls geht von Bonhoeffers Leben aus; ein zweiter, so meine ich, von seiner theologischen, ja christologischen Interpretation von »mündigem«72 Leben. In diesem zweiten Impuls wird eine Rezeptionslinie in der Interpretation der Theologie Bonhoeffers aufgenommen, die sich in neuesten Studien mit hermeneutischen Fragen nach seinem Glaubens- und Weltverständnis verbindet. Die Dilthey-Abhängigkeit Bonhoeffers, zuerst und unabhängig voneinander von Ernst Feil und Christian Gremmels in den 1970er Jahren73 entdeckt, dann in den 1990er Jahren74 im Blick auf den lebensphilosophischen Akzent in der Historismus-Rezeption Bonhoeffers konturiert, lässt sich als Interpretationslinie bis ins 21. Jh. weiterverfolgen: Anhand von Bonhoeffers Rezeption der Le­ben­sphilosophie (Nietzsche, Dilthey) zeigt bereits Friederike Barth in der oben erwähnten Studie75 auf, wie Bonhoeffer zu einem »chris­tologischen [ganzheitlichen] Lebensbegriff« findet. »[D]as Leben selbst ist Jesus Christus« (DBW 6, 248). Die große Studie von Tobias Schulte zeigt auf, wie nach Bonhoeffer »das kritische Potential der Rechtfertigungslehre« sich nur dann aufrecht erhalten lässt, »wenn man den Menschen in der ›Mitte des Lebens‹, also dort, wo er sich seiner Stärken bewusst ist, mit ihr konfrontiert bzw. sie dort zum Tragen kommt.« 76 Und die ebenfalls kürzlich erschienene Arbeit von Cornelius Bormann77 vertritt die These, dass Bonhoeffer die »mündige Welt« im Zuge der europäischen Gedankenentwicklung seit Renaissance und Reformation (Wilhelm Dilthey, Carl Friedrich von Weizsäcker) als befreit erkennt von jeglichem Angewiesensein auf Transzendenz. Damit werde aber keinem oberflächlichen Atheismus oder Agnostizismus das Wort geredet, sondern diese mündige Welt steht in Beziehung zu Jesus Christus.78

Bonhoeffers Impuls liegt m. E. darin, dass er den Fragehorizont mündigen Lebens in seiner vollen Breite aufmacht und in diesen Spannungsbogen die Christologie einzutragen vermag: einerseits in der Verwiesenheit des Menschen auf Gott, andererseits in der faktischen Fraglichkeit Gottes und dem Gedanken der menschlichen Autonomie. Gerade auch das Vermissen Gottes ist integrativer Bestandteil seiner Theologie. Der Mensch hat vor und mit Gott zugleich ohne Gott zu leben. »Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.« 79 Bonhoeffer nimmt den Ausgang seiner theologischen Überlegungen bei faktischen menschlichen Lebensvollzügen, die zutiefst als Entzweiungserfahrung erkannt werden. Mit allem werde der Mensch fertig, nur mit sich selbst nicht. Weder vermag es der Mensch, sich die Rechtfertigung seines eigenen Handelns, geschweige denn die Rechtfertigung seines Daseins aufzuerlegen. Gerade deswegen muss für Bonhoeffer die »mündige Welt« »besser verstanden werden, als sie sich selbst versteht, nämlich vom Evangelium, von Christus her.«80

Abstract


Dietrich Bonhoeffer, whose 110th birthday is celebrated in 2016, is

among the theologians from the 20th century whose theology and witness has been both received truthfully and misused by interpreters for their own ends. The article discusses this ambiguity and gives an overview of current international Bonhoeffer-research. Current approaches of reading Bonhoeffer lrgely stand in contin-uity with Bonhoeffer research in the 20th century. The final chapter claims that both Bonhoeffer's life and his theology of life are an important source of inspiritation and insight today.

Fussnoten:

1) Vgl. C. Tietz, Mensch, Welt und Gott. Die Bonhoeffer-Rezeption in den neueren dogmatischen Entwürfen, in: EvTh 67/6 (2007), 433–443, 433.
2) Vgl. etwa J. Dinger, Auslegung, Aktualisierung und Vereinnahmung. Das Spektrum der deutschsprachigen Bonhoeffer-Forschung der 50er Jahre, Neukirchen 1998; R. Schulze, Hauptlinien der Bonhoeffer-Interpretation, in: EvTh 25 (1965), 681–700.
3) Vgl. etwa E. Feil, Aspekte der Bonhoeffer-Interpretation, in: ThLZ 117 (1992), 1–16.81–100; R. Wüstenberg, Literaturrückblick, in: Ders., Glauben als Leben, Frankfurt am Main et al. 1996, 255–341.
4) Vgl. etwa J. Dinger, Tendenzen der Bonhoeffer-Rezeption in den letzten Jahrzehnten, in: EvTh 67/6 (2007), 405–418; C. Gremmels, Dietrich Bonhoeffer zum 100. Geburtstag, in: ThRv 102 (2006), 3–18.
5) Nach der politischen Wende in Südafrika, die mit der Freilassung Mandelas im Februar 1990 eingeleitet wurde, war wieder die Theologie Bonhoeffers in Themen der Versöhnung und der Menschenrechte wichtig zur Positionierung der Kirche, jetzt unter dem Bonhoefferzitat »Sind wir noch brauchbar?«; vgl. etwa den Kongressband des Internationalen Bonhoeffer-Kongresses in Kapstadt 1996: J. W. de Gruchy (Hrsg.), Bonhoeffer for a New Day. Theology in a Time of Transition, Grand Rapids/Cambridge 1997.
6) H. Pfeifer (Hrsg.), Genf ’76: Ein Bonhoeffer-Symposion, München 1976. Der erste internationale Bonhoeffer-Kongress wurde 1971 in Kaiserswerth ausgerichtet. Der Tagungsbericht und zwei Hauptvorträge (W. J. Peck und J. Schwarz) des Kongresses wurden dokumentiert in: EvTh 32 (1972), 509 f.530–560.
7) K. Busch Nielsen, R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), Dem Rad in die Speichen fallen: Das Politische in der Theologie Dietrich Bonhoeffers/A Spoke in the Wheel: The Political in the Theology of Dietrich Bonhoeffer, Gütersloh 2013.
8) J. W. de Gruchy, S. Plant, C. Tietz, Dietrich Bonhoeffers Theologie heute: Ein Weg zwischen Fundamentalismus und Säkularismus?/Dietrich Bonhoeffer’s The-ology Today: A Way between Fundamentalism and Secularism?, Gütersloh 2009.
9) Thema des Kongresses: Bonhoeffer and Christian Humanism.
10) C. Gremmels, W. Huber (Hrsg.), Religion im Erbe. Dietrich Bonhoeffer und die Zukunftsfähigkeit des Christentums, Gütersloh 2002.
11) Die Dietrich-Bonhoeffer-Vorlesungen sind Teil eines deutsch-amerikanischen Vorlesungs- und Austauschprogramms, das dem 1994 gestifteten Dietrich-Bonhoeffer-Lehrstuhl für Theologie und Ethik am Union Theological Seminary in New York zugeordnet ist.
12) Thema der XVIII. Dietrich-Bonhoeffer-Vorlesung: Verständigung und Versöhnung – Beiträge von Kirche, Religion und Politik (Tagungsband in Vorbereitung).
13) Thema der XVII. Dietrich-Bonhoeffer-Vorlesung: Christian Humanism and the Challenges of moral Formation in »A World come of Age« (Tagungsband in Vorbereitung).
14) A. Feldtkeller, N. Slenczka (Hrsg.), Deutung des Wortes – Deutung der Welt im Gespräch zwischen Islam und Christentum, XXII. Reihlen-Vorlesung / XVI. Bonhoeffer-Vorlesung, Beiheft zur BThZ 32 (2014).
15) Thema des 6th International Bonhoeffer Colloquium: Dietrich Bonhoeffer’s Concept of Theology (Tagungsband in Vorbereitung).
16) R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), God speaks to us: Dietrich Bonhoeffer’s Biblical Hermeneutics (= International Bonhoeffer Interpretations 5), Frankfurt am Main et al. 2013.
17) C. Tietz, J. Zimmermann (Hrsg.), Bonhoeffer, Religion and Politics (= Inter­national Bonhoeffer Interpretations 4), Frankfurt am Main et al. 2012.
18) Vgl. R. Wüstenberg (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer lesen im internationalen Kontext. Von Südafrika bis Südostasien, Frankfurt am Main et al. 2007.
19) Vgl. hierzu E. Feil, Zur Rezeption Bonhoeffers in katholischer Kirche und Theologie, in: EvTh 67/6 (2007), 444–458.
20) E. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers. Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis, Münster (1971) 62014; eine gekürzte Fassung erschien 1985 in den USA (The Theology of Dietrich Bonhoeffer, Minneapolis 1985) und 2001 in Japan.
21) Vgl. die fortlaufende internationale Bonhoeffer-Bibliographie im Dietrich-Bonhoeffer-Jahrbuch 1–5 (DBJ/DBY 1–5); schließlich wird zusammenfassend der quantitative Zuwachs eindrucksvoll dokumentiert etwa durch die Datenbank des im Internet allgemein zugänglichen »Dietrich Bonhoeffer Portals«. Erfasst sind bisher 6000 Einträge aus 16 Sprachräumen (www.dietrich-bonhoeffer.net/bibliografie).
22) Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW), Bde. 1–17, München 1986–1991/Gütersloh 1992–1999; Ergänzungsband zu DBW 6: Zettelnotizen für eine »Ethik«, Gütersloh 1993.
23) Dietrich Bonhoeffer Works (DBWE), Bde. 1–16, Minneapolis 1996–2013.
24) Exemplarisch sei die Cambridger Bonhoeffer-Schule um Prof. David Ford genannt, aus dessen Kreis zahlreiche renommierte Arbeiten hervorgegangen sind. Vgl. etwa A. Nickson, Bonhoeffer on Freedom: Courageously Grasping Real-ity, Aldershot 2002; T. Greggs, Theology against Religion. Constructive Dialogues with Bonhoeffer and Barth, London/New York 2011; R. Muers, Keeping God’s silence, Oxford 2005; P. Janz, God, the Mind’s Desire: Reason and Christian Think-ing, Cambridge 2004.
25) E. Metaxas, Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet, Holzgerlingen (2012) 62014 (engl.: Princeton 2010).
26) Brief vom 3.8.1944, DBW 8, 555.
27) F. Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906–1945: Eine Biographie, München 42007.
28) C. Tietz, Dietrich Bonhoeffer. Theologe im Widerstand, München 2013.
29) E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer: Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie, (München 1968) Gütersloh 92005; engl.: Dietrich Bonhoeffer. A Biography, Minneapolis 2000.
30) H. Müller, Von der Kirche zur Welt: ein Beitrag zu der Beziehung des Wortes Gottes auf die societas in Dietrich Bonhoeffers theologischer Entwicklung, Leipzig 21966, 9.
31) Vgl. zur Rezeption Bonhoeffers in der DDR: W. Krötke, Dietrich Bonhoeffer als »Theologe der DDR«. Ein kritischer Rückblick, in: ZEE 34/1 (1993), 94–105, sowie M. E. Marty, Dietrich Bonhoeffer’s Letters and Papers from Prison. A Biog-raphy, Princeton 2011, 74–102.
32) K. Barth, Brief an Eberhard Bethge vom 22. Mai 1967, in: K. Barth, Briefe 1961–1968, Gesamtausgabe V. Briefe, hrsg. v. J. Fangmeier und H. Stoevesandt, Zürich 1975, 403–407, 405 f.
33) Vgl. E. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers; zur Philosophierezeption dort 54 ff.91 ff.
34) C. Tietz, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung (= Beiträge zur historischen Theologie 112), Tübingen 1999.
35) Vgl. etwa M. de Jonge, Bonhoeffer’s Theological Formation: Berlin, Barth and Protestant Theology, Oxford 2012.
36) Vgl. etwa J. Zimmermann, B. Gregor (Hrsg.), Bonhoeffer and Continental Thought. Cruciform Theology, Bloomington 2009; Peter Frick (Hrsg.), Bonhoeffer’s Intellectual Formation (= Religion in Philosophy and Theology 29), Tübingen 2008.
37) F. Barth, Die Wirklichkeit des Guten. Dietrich Bonhoeffers »Ethik« und ihr philosophischer Hintergrund (= Beiträge zur historischen Theologie 156), Tübingen 2011.
38) Vgl. die breite Diskussion zum »Politischen in der Theologie Dietrich Bonhoeffers« auf dem XI. Internationalen Bonhoeffer-Kongress in Sigtuna, hierzu: K. Busch Nielsen, R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), Dem Rad in die Speichen fallen (s. Anm. 7).
39) H. Rosenau, Allversöhnung. Ein transzendentaltheologischer Grundlegungsversuch, Berlin/New York 1993, 470 ff.
40) M. Beintker, Rechtfertigung in der neuzeitlichen Lebenswelt. Theologische Erkundungen, Tübingen 1998, 165 f.
41) E. Jüngel, Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, (München 1990) Tübingen 22003, 249.
42) Etwa J. Yoder, The Priestly Kingdom. Social Ethics as Gospel, Notre Dame 1984.
43) Etwa S. Hauerwas, Performing the Faith. Bonhoeffer and the Practice of Non-Violence, Grand Rapids 2004.
44) Etwa L. Rasmussen, Dietrich Bonhoeffer: Reality and Resistance, Louisville 2005.
45) Etwa R. Lovin, Christian Realism and New Realities, New York 2008.
46) Vgl. etwa J. de Gruchy, Christianity, Democracy and New Realities, in: K. Busch Nielsen, R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), Dem Rad in die Speichen fallen, 432–454, 443: »Christianity and democracy cannot be equated, nor does Christianity require democracy in order to survive and flourish.«
47) Vgl. etwa G. Prüller-Jagenteufel, Das ›Aufhaltende‹ und die ›Vernarbung‹ der Schuld. Verantwortliches Handeln zur Überwindung von Schuld und Sünde im Vorletzten, in: K. Busch Nielsen, R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), Dem Rad in die Speichen fallen, 220–232.
48) Vgl. etwa C. Holmes, The Person interprets the Work. Reviewing an Important Christological Theme and some of its Political Implications, in: K. Busch Nielsen, R. Wüstenberg, J. Zimmermann (Hrsg.), Dem Rad in die Speichen fallen, 164–177.
49) Vgl. grundlegend C. Tietz, Mensch, Welt, Gott. Die Bonhoeffer-Rezeption in neueren dogmatischen Entwürfen, in: EvTh 6/67 (2007), 433–443.
50) W. Härle, Dogmatik, Berlin/New York 42012, 190; W. Kreck, Grundfragen der Ekklesiologie, München 1981, 46; D. Lange, Glaubenslehre, Bd. 1, Tübingen 2001, 11.330.
51) W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen 1991, 470 mit Anm. 86.
52) C. Schwöbel, Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur, Tübingen 2003, 27 f.
53) Für diese Linie politischer Theologie steht z. B. Jürgen Moltmann, der Mündigkeit normativ versteht: Alle Menschen haben das Recht auf eine mündige Existenz. Die Frage, »wer Christus heute für uns eigentlich ist« (DBW 8, 533), wird zur Frage: »Wer ist Christus für die Armen der Dritten Welt eigentlich? und Wer ist Christus für uns, die wir aus ihrer Armut Nutzen ziehen?« (J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989, 84).
54) M. E. Marty, Dietrich Bonhoeffer’s Letters and Papers from Prison. A Biog-raphy, Princeton 2011. Dietrich Bonhoeffers »Widerstand und Ergebung« (engl.: »Letters and Papers from Prison«) kann in der Tat auf ein reiches Leben (»bios«) zurückblicken: Von seiner englischen Erstauflage 1954 über die »enlarged edition« von 1978 bis zur Übersetzung der kritischen Gesamtausgabe als »Dietrich Bonhoeffer Works Vol. 8« (DBWE 8) im Jahr 2010 (deutsch: DBW 8 im Jahr 1998). Die Veröffentlichung der Biographie fällt zudem in das Jahr der Vollendung des über einen Zeitraum von 20 Jahren angelegten Übersetzungsprojekts der englischsprachigen Bonhoeffer-Ausgabe.
55) G. Ebeling, Die »nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe«, in: Ders., Wort und Glaube, Tübingen 31967, 90–160.
56) Vgl. M. E. Marty, Dietrich Bonhoeffer’s Letters and Papers from Prison, 70–73.
57) A. a. O., 65–73, mit Bezug auf R. Wüstenberg, Eine Theologie des Lebens. Dietrich Bonhoeffers nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe, Leipzig 2006 (engl.: A Theology of Life, Grand Rapids 1998).
58) Vgl. A. MacIntyre, God and the Theologians, in: Encounter 21 (11/1963), 3–10, 3.
59) Vgl. A. E. Loen, Säkularisation. Von der wahren Voraussetzung und angeblichen Gottlosigkeit der Wissenschaft, München 1965, 205 ff. (engl.: Secular-ization. Science without God?, London 1967, 188 ff.).
60) Vgl. W. Hamilton, A Secular Theology for a World Come of Age, in: The-ology Today 18 (1962), 440; vgl. auch J. A. T. Robinson, Honest to God, London (1963) 221991.
61) C. Gremmels, Religionslosigkeit?, in: Bonhoeffer-Rundbrief 76 (2005), 24.
62) Exemplarisch sei im Folgenden auf die Ergebnisse des X. Internationalen Bonhoeffer-Kongresses eingegangen, der sich 2008 in Prag mit dem Beitrag Dietrich Bonhoeffers zur Überwindung von Fundamentalismus und Säkularismus beschäftigte. Vgl. J. W. de Gruchy, S. Plant, C. Tietz (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffers Theologie heute, Gütersloh 2009.
63) W. de Gruchy, S. Plant, C. Tietz (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffers Theologie heute, 11 (Vorwort der Herausgeber).
64) J. Zimmermann, Dietrich Bonhoeffer’s Christian Humanism in Philo-sophical and Theological Context, in: W. de Gruchy, S. Plant, C. Tietz (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffers Theologie heute, 368–386, 386. Zimmermann hat seine in der Patristik verankerten Gedanken zu einem inkarnationstheologisch verankerten christlichen Humanismus an vielen Stellen ausgeführt. Vgl. etwa J. Zimmermann, Humanism and Religion: A Call for The Renewal of Western Culture, Oxford 2012.
65) Vgl. S. Haynes, The Bonhoeffer Phenomenon. Portraits of a Protestant Saint, Minneapolis 2004.
66) C. Marsh, Dietrich Bonhoeffer: Der verklärte Fremde. Eine Biografie, Gütersloh 2015 (engl.: Strange Glory: A Life of Dietrich Bonhoeffer, New York 2014).
67) So C. Tietz in ihrer Rezension zu C. Marsh, in: Zeitzeichen 8/2015, 63.
68) Eine These des Buches ist, dass Bonhoeffers Beziehung zu Bethge mehr als eine besondere Männerfreundschaft gewesen sei. Marshs Darstellung suggeriert, beide seien ein »Paar« gewesen. Das für evangelikal-amerikanische Kreise Skandalöse an diesem aus den Quellen nicht belegbaren Fund zeigt einmal mehr die Problematik, die auf den Plan tritt, wenn vom Leben auf das Werk geschlossen wird.
69) Wolfgang Huber hat unter Hinweis auf die Confessio Augustana (CA 21; BSELK 128–132) die These vertreten, dass von einem evangelischen Heiligen dort gesprochen werden kann, wo sich Lebenszeugnis und Glaubenskraft in einer Weise verbunden haben, dass dies zum Glauben und zum christlichen Handeln von Christen auch an anderem Ort, zu anderer Zeit und unter anderen Bedingungen ermutigt. Vgl. W. Huber, Dietrich Bonhoeffer – ein evangelischer Heiliger?, in: epd-Dokumentation Nr. 8, Frankfurt 14.2.2006, 4–17.
70) Vgl. L. Dahill, Reading Bonhoeffer from the Underside of Selfhood. Bonhoeffer and Spiritual Formation, Princeton 2009. Ihre Ausgangsfrage ist, »whe-ther and how the heart of Bonhoeffer’s spirituality (that is, ›confirmation‹ with Jesus Christ self-sacrificially active in human life, in community, and in the world) may speak to those of very different social-psychological locations from his own« (6).
71) Vgl. hierzu jüngst G. Prüller-Jagenteufel, C. Schließer, R. Wüstenberg (Hrsg.), Beichte neu entdecken: Ein ökumenisches Kompendium für die Praxis, Göttingen 2016 (u. a. mit Beiträgen zu Bonhoeffer von P. Zimmerling, C. Schließer und G. Prüller-Jagenteufel).
72) Bonhoeffer hat die Bedeutung Christi konsequent in den Horizont der Moderne gerückt: »Christus und die mündig gewordene Welt« – »mündig« in dem Sinne, dass innerweltliche Prozesse sich von selbst erklären und eben nicht auf göttliche Interventionen zurückgeführt werden können oder müssen (vgl. DBW 8, 477).
73) Vgl. E. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 355 f.; C. Gremmels, Mündige Welt und Planung. Eine sozialethische Untersuchung zum Verhältnis von Planung und Geschichte, Marburg 1970, 13 f.
74) Vgl. R. Wüstenberg, Eine Theologie des Lebens. Der Einfluß Wilhelm Dil-theys auf Bonhoeffers Theologie, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 12 (1999/2000), 260–270.
75) F. Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 194.
76) T. Schulte, Ohne Gott mit Gott. Glaubenshermeneutik mit Dietrich Bonhoeffer (= ratio fidei, 52), Regensburg 2014, 245. Konsequent am Primat der Gnade Gottes festhaltend, profiliert Schulte im Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer eine Theologie, die in der modernen menschlichen Freiheitssehnsucht und biblischen und reformatorischen Glaubenstraditionen keinen Gegensatz erblickt. Vgl. zur Dilthey-Rezeption bei ihm 130–141.188 ff.
77) Vgl. zu diesem Zusammenhang C. Bormann, Jesus Christus und die mündige Welt, Rheinbach 2015.
78) Die Systematik des französischen Soziologen Maurice Halbwachs nutzend schildert Bormann die verschiedenen Bereiche der Erinnerungsarbeit: Familie, Frömmigkeit, Bildung. Bonhoeffer, dem wegen der isolierenden Haft die Kontakte zur Gegenwart und wegen eines drohenden Todesurteils durch den Volksgerichtshof die Kontakte zur Zukunft unterbunden waren, blieb vor allem der Kontakt zur Vergangenheit. Die Erinnerung bezieht sich besonders auf den Lebensbereich und den Personenkreis, in dem Bonhoeffer in den Jahren 1916–1935 in Berlin-Grunewald lebte. Die angenehmen Züge der Erinnerung traten im Rahmen von Dissoziation an die Stelle der hässlichen Gefängniswelt und schufen damit zugleich Potenzen, aus denen heraus ein die Zukunft tragendes Konzept entwickelt werden konnte.
79) DBW 8, 533 f.
80) DBW 8, 482.